Ruanda: Das "Völkermord-Fax", das niemand ernst nahm

Menschliche Überreste aus einem 2005 gefundenen Massengrab
Menschliche Überreste aus einem 2005 gefundenen MassengrabEPA
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Im Jänner 1994 warnte der Kommandant der UN-Blauhelme vor dem bevorstehenden Genozid. Die Warnung wurde ignoriert, es blieb nicht die einzige. Ein halbes Jahr später war bis zu eine Million Menschen tot.

Die Warnung, die der kanadische Brigade-General Roméo Daillaire vor 20 Jahren, am 11. Jänner 1994, ins UN-Hauptquartier nach New York faxte, ließ nichts an Deutlichkeit übrig: Im ostafrikanischen Ruanda, wo Dallaire die Blauhelmtruppe UNAMIR kommandierte, gebe es Pläne zur Auslöschung der Tutsi, schlug er unter Berufung auf einen Informanten aus einer Pro-Regierungs-Miliz Alarm. Sein Schreiben ging später als "Völkermord-FAX" in die Geschichte ein.

Es war nicht die letzte Warnung dieser Art, die UN-Mitarbeiter, die entweder gut vernetzt waren oder ihre Augen offen hielten, abschickten, nicht nur an ihre Zentrale, sondern auch an die Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Doch dort wurden diese Hilferufe und alle Anzeichen für die Tragödie, die sich anbahnte Und so konnten Hutu-Milizen von April bis Juli ihren "Auslöschungs-Plan" an den Angehörigen der Tutsi-Minderheit in die Tat umsetzen. Am Ende fielen dem Völkermord 800.000 bis 1.000.000 Menschen zum Opfer.

Der zwielichtige Informant "Jean-Pierre"

Bei zehntausenden der Opfer handelte es sich um Hutu, für die sich später die unselige Bezeichnung "moderate Hutu" einbürgerte. Sie hatten sich entweder dem Völkermord an den Tutsi widersetzt, oder waren aus einem anderen Grund zuvor als unliebsam auf Todeslisten registriert worden.

Wie man heute weiß, auch aus den Akten des Internationalen Kriegsverbrechertribunals für Ruanda, hatte General Dallaire seine Informationen zwar aus einer windigen Quelle, und einiges, was ihm sein Informant "Jean-Pierre" sagte, erwies sich auch als unzutreffend, wie die "New York Times" darlegt. Aber der wesentliche Punkt, den dieser Mann loswerden wollte, nämlich der geplante Völkermord, der stimmte.

Jean-Piere, mit vollem Namen Jean Pierre Abubakar Turatsinze, stammt - schon das ist interessant - aus einer Hutu-Tutsi-Mischehe. Er changierte zwischen den Seiten, hatte gute Kontakte zu den späteren Hutu-Völkermord-Milizen (woher er seine Informationen hatte), aber auch zu den Tutsi-Rebellen der "Ruandischen Patriotischen Front". Seiner Frau, einer Tutsi, soll er Ende 1993 gesagt haben, er müsse sie womöglich bald umbringen", denn die Regierungspartei plane Massaker. Dies sagte die Frau vor dem UN-Tribunal aus. Die näheren Todesumstände von Jean-Pierre sind laut "New York Times" im Dunkeln.

Flugzeugabsturz als Signal zum Losschlagen

Der Konflikt zwischen Hutu und Tutsi hatte freilich eine Vorgeschichte (und er hat auch bis heute ein Nachspiel, nicht nur in Ruanda, sondern auch in der benachbarten Demokratischen Republik Kongo, wo Reste der Hutu-Milizen weiter aktiv sind). In Ruanda war eine Hutu-Regierung an der Macht, als Anfang der 90er-Jahre Tutsi-Rebellen aus dem benachbarten Uganda einfielen. Ein jahrelanger Bürgerkrieg war die Folge, mit Gräueltaten und Vertreibungen auf beiden Seiten.

Auch die Regierung rüstete Milizen aus, die sogenannten Interahamwe. Die reguläre Armee trainierte sie und versorgte sie mit Waffen. Und die Interahamwe waren es, die wenig später - unter tatkräftiger Beteiligung der "einfachen" Bevölkerung, den Völkermord begannen. Der unmittelbare Auslöser war der Absturz eines Flugzeuges mit Präsident Juvenal Habyarimana an Bord, am 6. April 1994. Die exakten Umstände dieses Absturzes sind bis heute nicht geklärt und geben Anlass zu Spekulationen.

Eine Spekulation muss es auch bleiben, ob der Völkermord denn verhindert hätte werden können, wenn die entsprechenden Warnungen von General Dallaire und anderen in New York, Washington, London und Paris ernst genommen worden wären. Tatsache bleibt, dass man es nicht einmal versucht hat, ihn zu stoppen, als er bereits in vollem Gang war.

>>> Zum Fax-Text im Original

(hd)

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