Wenn die Ausbildung im Westen nicht mehr weiterhilft

Bashar al-Assad.
Bashar al-Assad.(c) EPA (SALVATORE DI NOLFI)
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Bashar al-Assad hat eine Ausbildung in London erhalten, Kim Jong-un besuchte eine Schweizer Schule. Im Westen wurden Machthaber wie sie mit demokratischen Strukturen konfrontiert und bisweilen auch von ihnen beeinflusst. Kommt es aber zur eigenen Machterhaltung, scheint jede demokratische Vision vergessen zu sein.

Bashar al-Assad ist zu Scherzen aufgelegt. Er zeigt auf ein Mikroskop und sagt: „Das letzte Mal, als ich Kontakt mit der britischen Öffentlichkeit hatte, war es durch diese Linsen.“ Es ist Dezember 2002, und der syrische Präsident besucht mit seiner Frau Asma das renommierte Western Eye Hospital in der Londoner Marylebone Road. Für ihn ist der Besuch eine Kurzreise in die Vergangenheit, hat er doch hier geforscht und die Welt durch das Mikroskop betrachtet. Dann schüttelt al-Assad die Hände seiner früheren Kollegen, einige spricht er mit Namen an. „Es ist nett, dass er mich erkannt hat“, freut sich ein Mediziner, „obwohl ich einige Pfunde zugelegt habe.“

Al-Assad, der höfliche Augenarzt.Als er noch im Western Eye gelernt hat, zwischen den Jahren 1992 und 1994, galt der damals Endzwanziger als zurückhaltend, pünktlich, freundlich und uneitel. Für seinen Ausbildner Edmund Schulenburg ist er ein talentierter Mediziner, der einige chirurgische Eingriffe problemlos gemeistert habe. In England lernt al-Assad auch Asma kennen, Tochter eines syrischen Kardiologen. Asma wurde in England geboren und ausgebildet. In Zeitschriften wird später zu lesen sein, dass die mehrsprachige Finanzanalystin Befürworterin eines säkularen Staates mit starken, zivilgesellschaftlichen Bewegungen sei.

Vor rund drei Jahren, als der Arabische Frühling nach Syrien überschwappte, ließ al-Assad den Aufstand brutal niederschlagen. Und spätestens seit ein Bürgerkrieg tobt, ist vom freundlichen Arzt von der Marylebone Road nichts mehr übrig. Dabei hätten Beobachter damit gerechnet, schreibt Robert Danin vom US-amerikanischen Thinktank Council on Foreign Relations in einem Artikel, dass Präsidentensöhne wie al-Assad, Saif al-Islam al-Gaddafi oder Gamal Mubarak progressive und demokratische Ansätze in ihre Heimatländer mitbringen würden. Alle drei wurden in Großbritannien ausgebildet, sie haben sich „problemlos mit den westlichen Jetsetters gemischt“.

Tatsächlich ist ein Studium oder ein Studienaufenthalt im demokratischen Ausland ein Indiz dafür, dass ebendiese Studenten die demokratiefreundliche Haltung in ihrem Heimatland weitergeben, wie Antonio Spilimbergo vom Internationalen Währungsfonds in seinem 2009 erschienenen Artikel „Democracy and Foreign Education“ schreibt. Nicht zuletzt deswegen haben Länder wie die USA oder Deutschland mit dem Fulbright-Stipendium und dem Deutschen Akademischen Auslandsdienst Programme etabliert, um Ausländern ein (Teil-)Studium zu finanzieren. Und: Insgesamt 211 (Ex-)Staatsoberhäupter weltweit wurden an amerikanischen Universitäten ausgebildet, schreibt Spilimbergo, darunter Benazir Bhutto, Ehud Barak, Corazón Aquino oder Hamid Karzai.

Glasnost und Perestroika. Die Früchte von Aufenthalten wie diesen zeigt wohl Alexander Jakowlew am besten. Der spätere Berater von Präsident Michail Gorbatschow war einer von vier sowjetischen Studenten, die sich im Herbst 1958 an der New Yorker Columbia University eingeschrieben hatten. Jahre später war er es, der den Modernisierungsprozess in seiner Heimat dirigierte. Er gilt als Architekt von Glasnost und Perestroika.

Selbst Bashar al-Assad hat in der Anfangsphase seiner Amtszeit einen ansatzweise progressiven Kurs eingeschlagen, und dass nicht mehr Reformen durchgesetzt wurden, führen manche Beobachter auf die herrische Clique seines 2000 verstorbenen Vaters Hafiz al-Assad zurück. Mit dem Aufstand in Syrien ist aber etwas passiert: Bashar al-Assad musste seine Macht verteidigen. Und ab diesem Zeitpunkt war jeder demokratische Einfluss aus der Zeit seines Studiums anscheinend bedeutungslos. Bei manchen anderen Staatsoberhäuptern scheint der Aufenthalt in einem demokratischen Land nicht einmal die kleinsten Spuren hinterlassen zu haben – und auch hier spielt der Machterhalt eine zentrale Rolle.

Es ist das Jahr 1998, als ein Lehrer der Schule Steinhölzli in Liebefeld im Schweizer Kanton Bern der Klasse den neuen Schüler Pak-un vorstellt. Er ist, heißt es, das Kind eines Mitarbeiters der nordkoreanischen Botschaft. Pak-un spricht holpriges Englisch und kaum Deutsch. Er trägt Nike-Turnschuhe und -Sportanzüge, ist ein Fan von Michael Jordan, Jean-Claude Van Damme sowie Jackie Chan. Seine ehemaligen Klassenkameraden erinnern sich an einen schüchternen Burschen, der verrückt nach Basketball ist. Pak-un nimmt an Skikursen teil, und wenn sich seine Mitschüler streiten, greift er schlichtend ein. Er ist mathematisch begabt, hat aber nicht immer die besten Noten. Zu Hause spielt er gern Playstation, hört ständig die nordkoreanische Nationalhymne, und einmal fischt ein Lehrer ein Pornoheft aus seiner Schultasche. Im Jahr 2000 verschwindet Pak-un sang- und klanglos aus der Schule.

Vor einigen wenigen Jahren tauchte das Gerücht auf, dass der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un (als Pak-un) eine Schweizer Schule besucht habe – so auch seine Brüder. Wie Kim als Teenager aber wirklich war, hängt davon ab, welche Mitschüler oder Lehrer man befragt: Manche erzählen von einem aggressiven Buben, andere von einem Spaßvogel. Im Sommer 2012 jedenfalls, rund ein Jahr nach seinem offiziellen Amtsantritt nach dem Tod seines Vaters Kim Jong-il, war vermehrt von wirtschaftlichen Reformen in der abgeschotteten Diktatur die Rede: Industrieanlagen sollen revitalisiert, neue, repräsentative Gebäude (auch für Ausländer) errichtet werden. Wie ernst es Kim Jong-un ist, ist freilich die andere Frage. Aus Nordkorea dringen, wenn überhaupt, nur bizarre bis erschreckende Nachrichten nach außen. Erst kürzlich ließ er seinen in Ungnade gefallenen Onkel Jang Song-thaek hinrichten, und auch weiterhin provoziert das Land mit atomaren Drohgebärden. Kim scheint seine Macht mit allen Mitteln erhalten zu wollen.

Tyrannen und Diebe. Die Ausbildung der intellektuellen Elite im Ausland ist also per se kein Garant für die Installierung einer Demokratie im Heimatland. Mit dem Ende der Kolonialherrschaft in afrikanischen Ländern etwa tauchten viele Oberhäupter auf, die in demokratischen Ländern – meist im kolonialen „Mutterland“ – ausgebildet wurden. Laut dem ehemaligen Präsidenten Tansanias, Benjamin Mkapa, sind sie dort aber weder auf eine Führungsrolle vorbereitet, noch mit den sozialen und wirtschaftlichen Problemen eines neu entstehenden Staates konfrontiert worden. Zurück in Afrika hätten manche durchaus einen Idealismus beibehalten, so Mkapa, aber andere seien militärische Hardliner, Tyrannen oder Diebe gewesen. Mkapa selbst ist ebenfalls Absolvent der Columbia University. Während seiner Amtszeit (1995–2005) hat er zwar eine Antikorruptionskampagne gestartet, sah sich dann aber selbst mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert. Sein marktwirtschaftlicher Kurs führte nicht zuletzt zu einer Privatisierungswelle staatlicher Betriebe sowie dem Zufluss von Devisen. Eine Studie des „Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit“ belegt: Wurde ein Staatsoberhaupt im Ausland ausgebildet, erhöhen sich die ausländischen Investitionen im Land fast auf das Doppelte (die Daten beziehen sich auf afrikanische Länder).

Warum in Afrika trotzdem viele Länder nach Ende der Kolonialherrschaft mit der Demokratie straucheln, hängt auch damit zusammen, dass sich ihre Herrscher nicht als temporäre politische Erscheinung gesehen haben. Das Zepter wird innerhalb der Familie weitergegeben, manche pflegen monarchische, andere autokratische Züge.

Oft verbreiten die im Ausland gebildeten Herrschersöhne und -töchter auch eine Bildungseliten-Arroganz. Harvard, Oxford oder Princeton lässt sie automatisch auf einer höheren Ebene erscheinen, dadurch fühlen sich die Betroffenen ihrem Volk überlegen. Davor warnt Robert Danin: Bisweilen sei es besser, wenn die Führungspersönlichkeiten in der Mitte der Bevölkerung sozialisiert werden, um ihr auf Augenhöhe begegnen zu können. Auch in ihrer eigenen Heimat können sie mit liberalen und universalen Werten wie der Geschlechtergleichheit in Berührung kommen.

Einer, dem genau dieses Elitenbewusstsein nachgesagt wird, ist Saif al-Gaddafi. Es ist Juni 1972. Als Saif in Tripolis auf die Welt kommt, ist sein Vater Muammar gerade einmal knapp drei Jahre Staatsoberhaupt von Libyen. Saif gilt als sein Lieblingssohn. Er schickt ihn nach Wien, wo er – Saif mag Designerkleidung und hat zwei bengalische Tiger – die Vienna Business School besucht. Später schreibt er sich an der London School of Economics ein und verfasst eine streitbare Dissertation. Der Westen rechnet damit, dass mit Saif ein Reformer, ja Demokrat die Nachfolge seines Vaters antreten wird. Vor zehn Jahren hat sich Libyen offiziell von den Massenvernichtungswaffenprogrammen verabschiedet, Saif soll dabei eine Rolle gespielt haben. Jahre später fällt er mit anderen Geschichten auf: Eine Prostituierte verletzt sich im Garten seines Wiener Anwesens und al-Gaddafi verlässt in derselben Nacht die Stadt.

Seine Kontakte reichen von Tony Blair bis Jörg Haider und Financier Nathaniel Rothschild. Ob aus ihm wirklich ein Demokrat geworden wäre, weiß niemand. Als im Zuge der arabischen Revolution das Land brodelt und die Macht aus den Händen der al-Gaddafis schwindet, findet Saif klare Worte: „Wir werden Libyen nicht verlieren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2014)

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