Ägyptens gekaperte Revolution

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Das Regime nutzte den dritten Jahrestag der Revolution, um seine Macht zu zementieren. Rund 50 Menschen wurden getötet, während auf dem einst revolutionären Tahrir Militärchef al-Sisi gehuldigt wurde.

Kairo. Die Zahl der Toten zum dritten Jahrestag der ägyptischen Revolution wurde am Sonntag immer noch nach oben korrigiert, da meldete sich Übergangspräsident Adli Mansur mit einer kurzen TV-Rede zu Wort, mit einer Ankündigung, die weiter Öl ins Feuer gießen dürfte: Noch vor der eigentlich als Nächstes vorgesehenen Parlamentswahl soll ein neuer Präsident gewählt werden.
Das ist weit mehr als lediglich eine technische Terminänderung, denn es könnte die Macht von Militärchef Abdel Fatah al-Sisi zementieren. Dieser hält sich bisher offiziell bedeckt, ob er, wie von vielen erwartet, für das Präsidentenamt kandidieren wird. Er wäre bereit, wenn es denn der Wille des Volkes sei, ließ er vor wenigen Tagen verlauten.
Glaubt man der Szene auf dem Tahrir-Platz am Samstag zum dritten Jahrestag der Revolution, gibt es am „Willen des Volkes“ wenig Zweifel: Der Platz war ein Meer von Plakaten mit dem Bild des Generals. „Ich werde so lange auf dem Platz bleiben, bis er kandidiert!“, rief einer der Demonstranten. Auf einem großen Banner war al-Sisi mit einem Schlachtmesser zu sehen, darunter der vom Militär aus dem Präsidentenamt entfernte Muslimbruder Mohammed Mursi als Schaf, mit einer Reihe anderer führender Muslimbrüder. „Exekutiert die Muslimbrüder“ und „Sisi – Raisi“ oder „Sisi ist mein Präsident“, skandiert die Menge. Eine Frau bezeugt gar, sie sei bereit, al-Sisi zu heiraten.
Doch es ist eine andere Szene, die am nächsten Tag in den sozialen Medien die Runde gemacht hat, eine Szene, die so etwas wie das Bild des Tages darstellt: Ein Polizeioffizier steht auf einer Bühne auf dem Tahrir-Platz und singt vor tausenden fahnenschwingenden Ägyptern am Revolutionstag die Nationalhymne. Damit ist die Geschichte der ägyptischen Revolution offiziell umgeschrieben. Das Innenministerium, das in den 18 Tagen des Aufstands gegen Mubarak brutal vorgegangen ist und einen Gutteil der 840 Toten von damals zu verantworten hat, ist nicht nur rehabilitiert, sondern beansprucht die Revolution nun für sich.

Größten Blutzoll zahlten Muslimbrüder

Nur wenige hundert Meter von dem Ort des singenden Polizeioffiziers entfernt wurden zur gleichen Zeit Hunderte jener jungen Ägypter verhaftet und verprügelt, die vor drei Jahren wirklich auf dem Tahrir standen. Diese Gruppe säkularer Aktivisten hatte Slogans gegen die Muslimbrüder, vor allem aber gegen das Militär gerufen. „Auf dem Tahrir schaffen sie gerade einen neuen Pharao, und das ist das Letzte, was unser Land braucht“, sagte Khaled Daoud, einst Sprecher der oppositionellen Nationalen Rettungsfront unter Mohammed ElBaradei, auf dieser Demonstration gegenüber der „Presse“. Nur wenige Minuten nach dem Gespräch wurde die Demonstration von Polizei und al-Sisi-Anhängern angegriffen. Es gab Verletzte und auch Tote.
Doch es waren vor allem die zahlreichen Gegendemonstrationen der Muslimbrüder in vielen Teilen des Landes, die am Revolutionstag einen hohen Blutzoll gezahlt haben. Nach offiziellen Zahlen sind am Samstag landesweit 49 Menschen umgekommen, die meisten in den Kairoer Armenvierteln Alf Maskin und Matariya, die als Muslimbruderhochburgen gelten und in denen die heftigsten Straßenschlachten getobt haben.
Laut Innenministerium seien am gleichen Tag 1079 Menschen verhaftet worden. Am 25. 1. 2011, dem Tag, an dem der Aufstand gegen Mubarak begonnen hatte, waren 700 Menschen verhaftet worden. Damit wurden am Samstag, dem dritten Jahrestag der Revolution, mehr Demonstranten festgenommen als am ersten Tag der Revolution selbst, während Polizeioffiziere auf dem Tahrir die Nationalhymne anstimmten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2014)

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