Ukraine: Der Rückzieher des Präsidenten

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UKRAINE, EU, PROTESTE(c) APA/EPA/ZURAB KURTSIKIDZE (ZURAB KURTSIKIDZE)
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Staatschef Janukowitsch opferte seinen Premier und ließ repressive Gesetze aufheben. Ob das den Ausweg aus der Krise weist, ist fraglich. Nun erwartet das Regime Zugeständnisse.

Wien/Kiew. „Dies ist kein Sieg, sondern ein Schritt zum Sieg.“ Die Formulierung des ukrainischen Oppositionsführers Vitali Klitschko, mit der er am Dienstag den Rücktritt von Premier Mykola Asarow und dessen Regierung kommentiert, ist symptomatisch für die Reaktionen darauf: leichter Optimismus, gemischt mit Vorsicht.

Asarow selbst sprach von einer „persönlichen Entscheidung“, um einen politischen Kompromiss für eine friedliche Lösung des Konflikts zu ermöglichen. Die Luft war dennoch erfüllt von Misstrauen. Dies nicht zuletzt deshalb, da Asarows Team laut geltender Verfassung bis zur Formierung einer neuen Regierung noch zwei Monate im Amt bleiben darf und ohnehin nur als Erfüllungsgehilfe eines übermächtigen Präsidenten gilt.

Wie sehr die gestrigen Maßnahmen wirklich schon einen Ausweg aus dem verfahrenen und gewaltreichen Konflikt zwischen Machthabern, Opposition und teils unkontrolliert agierenden Demonstranten weisen, ist unter Beobachtern denn auch umstritten: „Der Rücktritt ist ein Entgegenkommen, aber er ist nicht ausreichend“, sagt Oleksij Haran, Politikwissenschaftler an der staatlichen Universität Kiewer Mohyljanska Akademija, im Gespräch mit der „Presse“.

Als nicht nur symbolischen Schritt, sondern als wesentlichere Änderung wertet Haran die gestrige Entscheidung des Parlaments, jenes umstrittene Paket aus neun Gesetzen aufzuheben, mit denen vor zwei Wochen das Demonstrationsrecht drastisch verschärft worden ist und das zur gewaltsamen Eskalation der seit November andauernden Proteste und zu sechs Todesopfern geführt hat. Die Entscheidung muss binnen fünf Tagen an Präsident Viktor Janukowitsch übergeben werden, der wiederum fünf Tage Zeit für die Unterzeichnung hat.

Maßgeschneiderte Verfassung

Auch Michail Pogrebinski, Ex-Präsidentenberater und jetzt Politologe in Kiew, wertet die Gesetzesänderung als Fortschritt, sieht jetzt aber die Opposition am Zug: „Sie hat bisher nichts zur Annäherung beigetragen“, sagt er im Gespräch: „Erst ihre Reaktion wird zeigen, ob die jetzigen Maßnahmen erfolgreich sind.“

Eine der zentralen und heikelsten Forderungen der Opposition ist die Revision der jetzigen Verfassung. Sie wurde von Präsident Viktor Janukowitsch vor drei Jahren völlig auf seine Bedürfnisse zugeschnitten und verleiht ihm eine Übermacht, die mit der des russischen Präsidenten vergleichbar ist. Zwar hat Janukowitsch selbst eine Änderung angeboten. Wenn er aber allzu klein beigibt, gibt er seine wesentlichste Machtstütze aus der Hand.

Andererseits haben Klitschko und der zweite Oppositionsführer, Arseni Jazenjuk, am Wochenende Janukowitschs Angebot, die Regierungsspitze zu übernehmen, gerade deswegen ausgeschlagen, weil die Posten unter einem übermächtigen Präsidenten kaum Macht verleihen. Im Gespräch war am Dienstag, eine Kommission zur Änderung der Verfassung einzusetzen. Da die bestehende laut dem Politologen Haran nicht legitim zustande gekommen sei, könne sie bei entsprechendem Willen binnen eines Tages rückgängig gemacht werden.

Was die Amnestie für festgenommene Demonstranten betrifft, so konnten sich die Fraktionsführer gestern über keinen Gesetzestext einigen, wie Oleg Tjagnybok, Chef der nationalistischen Partei Swoboda, am Abend bekannt gab. Die Beratungen sollten heute fortgesetzt werden. Als Bedingung für eine Amnestie gilt, dass die von Aktivisten besetzten Regierungsgebäude und die Barrikaden in den Straßen geräumt würden.

In jedem Fall wurde gestern eine erste Entspannung der zuletzt hochexplosiven Situation erreicht. Dort wie da wurden erste Barrikaden abgerissen. Zumindest verbal zeigten sich sowohl Sicherheitskräfte als auch Demonstranten bereit, die Straßen zu räumen. Real freilich gebe es kein Vertrauen, sodass man über eine „Road map“ nachdenke, sagte Tjagnybok.

Die EU begrüßte in einem ersten Statement, dass das ukrainische Parlament mit der Abschaffung der repressiven Gesetze einen ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht habe.

AUF EINEN BLICK

Mykola Asarow trat am Dienstag als ukrainischer Premier zurück und mit ihm die gesamte Regierung. Zudem hob das Parlament die erst vor zwei Wochen verabschiedeten repressiven Maßnahmen wieder auf, die das Demonstrationsrecht massiv einschränkten. [ Reuters ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2014)

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