Testet Russland illegale Atomraketen?

Rüstung. Angeblich bastelt Russland an Marschflugkörpern bzw. Raketen, die gegen den berühmten Vertrag zum Abbau von Mittelstreckenwaffen von 1987 verstoßen. Des lieben Friedens willen würden die USA dazu bisher eher schweigen.

Washington/Moskau. Den ohnehin äußerst heiklen Beziehungen zwischen den USA und Russland erwächst ein Problem, das man mit einer vergangenen Ära verbindet: Wie die „New York Times“ am Donnerstag berichtete, soll Russland bodengestützte, nuklear bestückbare Marschflugkörper testen, deren Reichweite einen Kernvertrag der Abrüstungsgeschichte verletzt: den zum Abbau aller nuklearen Mittelstreckenwaffen (INF-Vertrag), der 1987 von US-Präsident Ronald Reagan und Sowjet-Staatschef Michail Gorbatschow in Washington geschlossen worden ist.

Infolge des INF wurden bis 1991 alle landgestützten Raketen und Marschflugkörper der UdSSR und USA mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometer zerstört; das betraf Systeme wie die „Pershing II“ der USA/Nato sowie SS-12 „Scaleboard“ und SS-20 „Saber“ der UdSSR. Das Ziel war, deren absehbares Haupteinsatzgebiet Mitteleuropa zu denuklearisieren; fast 2700 Stück (rund 1850 im Ostblock) wurden beseitigt. Erstmals haben Staaten vertraglich eine ganze Waffenkategorie zerstört. Doch nun soll Russland erneut Waffen jener Reichweitenkategorie testen – und Washington die Nato-Verbündeten informiert haben.

INF-Vertrag nur „umgangen“

Schon seit 2008 kursieren Berichte, dass Russland den INF verletze, seit 2011 mindestens sieben Mal, heißt es in militärischen Fachmedien. Dabei bestritt Moskau die meisten Tests gar nicht: Man habe nur legale Interkontinentalraketen bzw. Stufen davon für Tests spezieller Nutzlasten (etwa Gefechtsköpfe, Störkörper) auf kürzere Bahnen geschossen. Im Oktober 2013 etwa wurde eine „Topol“ (SS-25 „Sickle“, Reichweite um die 11.000 km) auf weniger als 2000 Kilometer abgefeuert. Mit Russlands modernster in Bau befindlicher strategischer Rakete „Yars-M“ (russischer Code RS-26, Nato-Code bisher nur SS-29) gab es mindestens drei Tests in der vom INF verbotenen Kategorie.

Damit aber, so sagen auch Beobachter im Westen, werde der INF an sich nicht verletzt, weil die Raketen nicht per se Mittelstreckenwaffen seien. Es sei eine „Umgehung“, die aber Gerüchte nährt, dass Moskau im Tarnmantel strategischer Waffen Mittelstreckenwaffen baut.

Nachdenklich macht vor allem, dass die „NYT“ von „Marschflugkörpern“ schreibt, also Geschossen, die relativ langsam und niedrig fliegen. Details fehlen, es könnte aber eine neue, illegal reichweitengesteigerte Abart der „Iskander-K“ sein, eines Kurzstreckensystems für Distanzen unter 500 km; Russland hat in den vergangenen Jahren gedroht, Iskanders in seiner Ostsee-Exklave Kaliningrad aufzustellen, als Reaktion auf den kommenden Nato-Raketenabwehrschirm.

Moskau hat seit Anfang der 2000er-Jahre den INF infrage gestellt, meist unter Hinweis darauf, dass asiatische Mächte wie China auch Mittelstreckenraketen bauen. Russland falle deren Verbot schwerer als den USA, die im Umkreis von 5500 Kilometer keine vergleichbaren Gegner hätten. 2007 sagte Präsident Wladimir Putin, der INF sei nicht mehr in Russlands Interesse.

Angst um Abrüstungsverträge

In den USA wurden die Raketentests unter den Teppich gekehrt, um die heiklen Beziehungen nicht weiter zu stören. Als der jetzige Außenminister John Kerry Ende 2012, als Leiter des Komitees für Auswärtige Beziehungen des Senats, von Regierungsbeamten über die Tests informiert wurde, habe er wegen der „faulen Tricks“ der Russen geschäumt; man soll die Sache aber nicht allzu bekannt machen, denn das würde die Anstrengungen bezüglich neuer Abrüstungsabkommen mit Moskau gefährden. (wg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2014)

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