Ägypten: Hubschrauber von Islamisten mit moderner "Igla"-Fliegerfaust zerstört

Abgeschossener ägyptischer Hubschrauber kurz vor dem Einschlag
Abgeschossener ägyptischer Hubschrauber kurz vor dem Einschlagyoutube
  • Drucken

Die Waffenarsenale nahöstlicher Militanter werden immer moderner: Auf einem Video, das Terroristen selbst auf YouTube stellten, ist laut Experten eine hochmoderne tragbare Luftabwehrrakete im Einsatz zu sehen.

Militante Islamisten im Nahen Osten kommen vor dem Hintergrund der Wirren in der arabischen Welt offensichtlich an immer modernere Waffen: Vor einigen Tagen ist auf der Internet-Videoplattform "YouTube" ein Film aufgetaucht, der zeigt, wie ein Kämpfer der Gruppe "Jamaat Ansar Bayt al-Maqdis" mit einer tragbaren Luftabwehrwaffe ("Fliegerfaust") einen ägyptischen Militärhubschrauber über der Sinaihalbinsel nahe des Gazastreifens abschießt. Ägyptens Militär, das bei dem Angriff fünf Soldaten verlor, gab zunächst an, die Rakete sei vom russischen Typ SA-7 bzw. "Strela" (Pfeil) gewesen, eine schon recht betagte Waffe, die seit den 1960ern erzeugt wird. Tatsächlich dürfte es aber eine weit modernere Waffe der "Igla"-Serie (Igla bedeutet Nadel) gewesen sein, die erst seit den 1980ern gefertigt wird und weit effektiver ist als ihre Vorgängerserie.

Die erwähnte Terroristengruppe ist der Hamas nahestehend und operiert im Gazastreifen und im ägyptischen Sinai; vorigen September überlebte Ägyptens Innenminister Mohammed Ibrahim nur knapp einen Anschlag der Gruppe, bei dem ein Selbstmordattentäter mit einem Auto in den Konvoi des Ministers gerast war.

Todessturz unter Heldengesängen

Bei dem rund zwei Minuten langen Video (siehe am Ende des Textes), das auf recht unheimliche Art und Weise von heroischen arabischen Gesängen unterlegt ist und zeigt, wie der Hubschrauber (eine Mi-8/17) wie ein Stein und brennend vom Himmel in die Wüste stürzt, sind der Schütze und seine rohrförmige Waffe absichtlich "verschmiert" dargestellt, um die Identifizierung zu erschweren. Experten des Militärfachmagazins IHS Jane's Defence haben es studiert und kamen aufgrund der Form der Batteriekühleinheit und der Maße des Rohrs zum erwähnten Schluss: Demnach handle es sich um eine Waffe der Igla-Serie, die in zahlreichen Varianten erzeugt wird - etwa in Form der SA-16 (Nato-Code: "Gimlet"), SA-18 "Grouse" und, seit 2004, als SA-24 Igla-S ("Grinch").

Werfer und Rakete einer SA-18
Werfer und Rakete einer SA-18 "Grouse"USGov

Iglas sind feststoffbetriebene Raketen mit Sprengköpfen an der Spitze, sie wiegen je nach Modell um die elf Kilogramm bei rund 1,5 Meter Länge und fliegen mit maximal mehr als zweifacher Schallgeschwindigkeit fünf bis sechs Kilometer weit bei einer maximalen Flughöhe von bis zu 3,5 Kilometer. Ihr Ziel finden sie nach dem "Fire-and-Forget"-Prinzip selbst, nämlich mittels eines Infrarotsuchkopfs, sprich sie steuern heiße Teile des Flugobjekts eigenständig an, also etwa die Flugzeugdüsen und Auspuffe von Hubschrauberturbinen.

Im Vergleich zu ihren Vorgängermodellen der Strela-Serie haben die Iglas unter anderem bessere Einsatzreichweiten, sind weniger anfällig für Defensivmaßnahmen (etwa für Magnesiumfackeln, die das Flugobjekt ausstößt, um heißere Ziele zu bieten) und im Flug beweglicher. Die Konstrukteure des russischen Waffenschmiedebüros Kolomna OKB geben an, dass schon das Grundmodell der Igla-Serie (ab 1981) eine Zerstörungswahrscheinlichkeit angesichts ungeschützter Ziele von 30 bis 60 Prozent, angesichts geschützter Ziele von etwa 25 Prozent habe; spätere Versionen haben weit höhere Trefferraten.

Geplünderte Arsenale als Quelle

Wie die Iglas in den Besitz der Terroristen gelangten, ist unklar. Tatsächlich jedoch hatten regionale Streitkräfte wie jene Syriens, Ägyptens, des Irak und Irans Iglas beschafft - insgesamt findet man sie neben Russland in mehr als 30 Staaten, von Angola über Finnland, Mexiko und Serbien bis Vietnam, wenngleich Iglas weitaus seltener anzutreffen sind als die massenhaft (und zudem auch in Kopien) erzeugten Strelas: Allein von deren Variante SA-7 "Grail" (Strela-2) wurden (laut Angaben des tschechischen Militärs) mehr als 50.000 Stück gebaut.

Igla der brasilianischen Armee
Igla der brasilianischen ArmeeFlickr/André Gustavo Stumpf

Im Zuge des libyschen Bürgerkriegs wurden zahlreiche Strelas aus Regierungsdepots entwendet und gelangten unter anderem nach Gaza. Von der modernen Variante Igla-S (SA-24) dürfte Libyen einst etwa 500 Stück gekauft haben; einige davon sollen in den Iran gelangt sein, israelischen Geheimdienstberichten zufolge soll eine unbekannte Anzahl über den Sudan nach Gaza, in den Sinai und den Libanon geschmuggelt worden sein.

Beginn in den 1960er-Jahren

Tragbare Flugabwehrwaffen tauchten in den 1960ern auf, vor allem in der UdSSR (Strela), den USA (Redeye) und Großbritannien (Blowpipe). In der Regel steuern sie sich mit Infrarot- und teils UV-Suchköpfen ins Ziel, einige wenige Modelle wie Blowpipe waren durch den Schützen funkferngesteuert, was sich als wenig tauglich erwies.

Klassiker: Sowjetsoldat mit SA-7
Klassiker: Sowjetsoldat mit SA-7 "Grail" bzw. "Strela"US Military Image

Seit dem Vietnamkrieg wurden Fliegerfäuste in zahlreichen Konflikten verwendet, etwa in den Nahostkriegen, im Falklandkrieg 1982, im Cenepa-Krieg zwischen Peru und Ecuador von 1995 und in den Balkankriegen der 1990er.

Einem weiteren Publikum bekannt wurde die amerikanische "Stinger", die von der CIA Mitte der 1980er an die Mudschaheddin in Afghanistan für den Kampf gegen die Sowjetbesatzer geliefert wurde. Die Stückzahl ist bis heute unklar, die Rede ist von 500 bis 2000. Nach dem Krieg versuchten die Amerikaner in einer geheimen Aktion, die verbliebenen Stingers zurückzukaufen - angeblich funktionierte das bei nur etwa 300 Stück, zu einem Preis von 70.000 bis 180.000 Dollar pro Stück. Der Schwarzmarktwert war damals etwa 100.000 Dollar zum damaligen Geldwert, die Produktionskosten betrugen etwa 20.000 Dollar pro Stinger. Mindestens 600 Stingers sollen ihren Weg über dunkle Kanäle in Länder wie Kroatien, Katar, Sri Lanka, Somalia und Nordkorea gefunden haben.

Eine Rakete löst einen Völkermord aus

Nachdem im April 1994 ein Flugzeug, in dem die Präsidenten Ruandas und Burundis saßen, über dem Flughafen von Kigali (Ruanda) von vermutlich einer SA-16 "Gimlet" abgeschossen worden war, brach der Bürgerkrieg in Ruanda aus - er wuchs sich zum Völkermord mit mehr als 800.000 Todesopfern binnen etwa 100 Tagen aus.

Wenig erfolgreich: die britische
Wenig erfolgreich: die britische "Blowpipe"militaryimages.net
US Marines mit
US Marines mit "Stinger"US Marine Corps

Die Befürchtung, solche Waffen könnten von Terroristen gegen zivile Ziele benutzt werden, hat sich indes bisher weniger erfüllt als vielerorts befürchtet - dennoch soll es seit den 1970ern 40 solcher Angriffe gegeben haben, bei denen 28 Flugzeuge bzw. Hubschrauber abstürzten und mehr als 800 Menschen starben. Auffallend häufig gab es solche Angriffe über Afrika: etwa über Angola, dem Kongo, Simbabwe und der Westsahara. Am 21. und 22. September 1993 schossen abchasische Separatisten über Georgien zwei Tupolews der Fluggesellschaft Transair Georgia ab, es gab etwa 135 Tote.

Spaniens Premier im Visier

Im November 2002 schossen vermutlich Islamisten gleich zwei Strelas auf eine Boeing 757 der israelischen Fluglinie "Arkia" mit Touristen an Bord, die soeben von Mombasa (Kenia) startete; die Raketen verfehlten ihr Ziel.

Auch Europa blieb von solch heimtückischen Aktionen nicht ganz verschont: Die baskische Terrorgruppe ETA versuchte im April und Mai 2001 insgesamt dreimal, einen Regierungsjet mit Spaniens damaligem Premierminister José Maria Aznar an Bord mit Strela-2 Raketen abzuschießen; jedesmal versagte dabei aber die Zündung.

Erfunden 1944 in Deutschland

Erfunden wurden tragbare Flugabwehrwaffen übrigens (wieder einmal) in Deutschland: 1944 entstand dort in der Firma Hugo Schneider AG in Leipzig die "Luftfaust" bzw. "Fliegerfaust", das war ein Bündel aus vier, später neun Rohren, aus denen ein Schütze ungelenkte Raketen Kaliber 20 Millimeter verschoss und schlicht über Kimme und Korn zielte. Die avisierte Reichweite von etwa 500 Meter wurde nie erreicht, die Waffe war somit bestenfalls gegen Tiefflieger tauglich. Überdies wurden bis Kriegsende 1945 wohl nur um die 80 Stück (von 10.000 bestellten!) erzeugt und zur Erprobung ausgeliefert.

Die deutsche Fliegerfaust:

Deutsche Fliegerfaust (1944/45)
Deutsche Fliegerfaust (1944/45)Wikipedia

Benutzte Fliegerfaust im Schutt des Hotels "Adlon" in Berlin, Mai 1945, am unteren Rand des Bildes:

Fliegerfaust (unten)
Fliegerfaust (unten)ww2incolor.com

Über Abschüsse durch Fliegerfäuste ist nichts bekannt. Testschießen dürfte es nur durch eine Spezialeinheit nahe Saarbrücken gegeben haben. Auf Fotos, die im zerstörten Hotel Adlon im Herzen Berlins beim Brandenburger Tor gemacht wurden, sieht man freilich eine benutzte Fliegerfaust (Bild oben) - man könnte sie aber ebenso gut auch gegen Bodenziele benutzt haben.

>>>Das Video vom Abschuss über dem Sinai:

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.