Türkei weitet Internet-Kontrollen massiv aus

Demonstrators shout anti-government slogans as one of them carry a placard with a picture of Turkey´s PM Erdogan during a protest against internet censorship in Istanbul
Demonstrators shout anti-government slogans as one of them carry a placard with a picture of Turkey´s PM Erdogan during a protest against internet censorship in Istanbul(c) REUTERS (Murad Sezer / Reuters)
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Durch einen Beschluss des Parlaments können Internetseiten künftig ohne Gerichtsanordnung gesperrt und das Surf-Verhalten von Bürgern für zwei Jahre gespeichert werden.

Das türkische Parlament ein umstrittenes Gesetz zur Kontrolle des Internets beschlossen, berichteten lokale Medien in der Nacht auf Donnerstag. Die neuen Regelungen, die die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vorgelegt hat, sehen unter anderem die Möglichkeit der Sperrung von Internetseiten ohne Gerichtsbeschluss vor. Auch bekommen die Behörden das Recht, Surfverhalten aufzuzeichnen und zwei Jahre lang zu speichern.

Die Regierung argumentiert, das neue Gesetz trage zum besseren Schutz von Persönlichkeitsrechten im Internet bei. Kritiker sagen dagegen, das Gesetz gebe der Regierung die Macht, willkürlich über die Sperrung von Inhalten zu entscheiden. Die nun beschlossenen Änderungen sind Teil eines umfangreichen Gesetzespakets, das vom Parlament noch als Ganzes gebilligt und von Präsident Abdullah Gül unterzeichnet werden muss.

Die Opposition kritisierte das Gesetz als Versuch der Zensur. Oppositionspolitiker warfen der Regierung vor, mit der geplanten Sperrung Kritik unterbinden zu wollen.

Bisher war Gerichtsbeschluss nötig

Unter dem derzeit geltenden Internetgesetz können Webseiten relativ einfach gesperrt werden, allerdings nur mit Gerichtsbeschluss. Betroffen waren bereits die Blog-Plattform Wordpress und die Video-Portale DailyMotion und Vimeo. Youtube war bis 2010 sogar zwei Jahre lang gesperrt. Während der Proteste rund um den Istanbuler Gezi-Park im vergangenen Sommer kritisierte Erdogan den von der Protestbewegung intensiv genutzten Kurzbotschaftendienst Twitter als "Unruhestifter".

Auf dem Höhepunkt der Proteste gegen den autoritären Regierungsstil Erdogans im Sommer vergangenen Jahres waren Hunderte Aktivisten festgenommen worden, die im Internet zu Demonstrationen aufgerufen hatten. Da regierungsnahe Medien über die Demonstrationen zeitweise kaum oder nicht berichtet hatten, waren soziale Medien zum wichtigsten Kommunikationskanal der Protestbewegung geworden.

"Schutz der Jugend"

Die Regierung erklärte, die erleichterte Sperrung von Internetseiten solle dem Schutz der Jugend vor schädlichen Einflüssen aus dem Internet dienen und sie vor Drogen und Pornografie bewahren. Kritik aus dem In- und Ausland wies sie zurück.

Erdogan und seine Regierung sind in den vergangenen Monaten wegen der Verfolgung von Journalisten und Internet-Aktivisten international verstärkt unter Druck geraten. Ankara wurde mehrfach gewarnt, Reformen der vergangenen Jahre dürften nicht zurückgedreht werden. Die Opposition wirft der Regierung vor, persönliche Freiheiten und Bürgerrechte im Land immer weiter einzuschränken.

Die Türkei wird derzeit von einem Korruptionsskandal erschüttert, der Erdogan massiv unter Druck gesetzt hat. Mitte Dezember hatte die Justiz zahlreiche Manager und Politiker aus dem Umfeld der Regierung festnehmen lassen. Ihnen wurde die Verwicklung in einen weitverzweigen Korruptionsskandal vorgeworfen. Erdogan bezeichnet den Skandal als Verschwörung gegen seine Regierung und ließ hunderte Polizisten und Staatsanwälte versetzen, die teils in die Ermittlungen eingebunden waren.

(APA/AFP/Reuters)

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