„Zuwanderungsstopp gegen Dichtestress“

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Der Zuzug aus der EU sei verantwortlich für überfüllte Züge und explodierende Mieten, so die SVP.

Genf. Die Chancen für die Initiative „Gegen Masseneinwanderung“ der Schweizer Volkspartei (SVP) stehen nicht schlecht: Erstmals hat die SVP alle nur denkbaren ausländerfeindlichen Diskurse und Ressentiments in einer Initiative zusammengeführt. Alle früheren, überwiegend gescheiterten xenophoben Initiativen der Partei richteten sich immer nur gegen eindeutig benannte und auf Plakaten und in Zeitungsanzeigen durch Farben und Symbole identifizierte Teilgruppen von Ausländern: nicht weiße Flüchtlinge und Asylbewerber aus Afrika und Asien, Kriminelle aus dem Balkan und anderen verdächtigen Regionen, schwarze Schafe, die vom Schweizer Sozialsystem profitieren oder sich gar den Schweizer Pass erschleichen wollen.

Die aktuelle Initiative hingegen fordert erstmals, Höchstzahlen, Kontingente und andere Restriktionen für ausnahmslos alle Personengruppen ohne Schweizer Pass festzulegen. EU-Bürger, die seit 2007 auf Basis des Personenfreizügigkeitsabkommens zwischen Bern und Brüssel von 2002 in der Schweiz wohnen und arbeiten dürfen, Grenzgänger, die Tag für Tag aus Frankreich, Italien oder Deutschland zur Arbeit in die Schweiz einreisen, sowie Flüchtlinge und Asylbewerber.

Auf den Plakatkampagnen der SVP wird die gesamte Schweiz von einem anonymen krakenähnlichen Ungetüm umschlungen. In Zeitungsanzeigen („Bald mehr Ausländer als Schweizer“) behauptet die SVP, ohne eine Einschränkung der Zuwanderung werde die Wohnbevölkerung der Schweiz von derzeit 8,1 Millionen Menschen und einem Ausländeranteil von 23,5Prozent bis 2060 auf 16,3Millionen mit einem Ausländeranteil von mindestens 52 Prozent anwachsen.

Geschickt instrumentalisiert die Partei den „Dichtestress“, den vor allem die Schweizer im Großraum Zürich immer stärker beklagen: überfüllte Züge, Busse und Straßenbahnen, verstopfte Straßen, explodierende Wohnungsmieten und die Arbeitsplatzkonkurrenz für Einheimische. Verantwortlich dafür macht die SVP in erster Linie die Zuwanderung von jährlich rund 80.000 EU-Bürgern seit 2007.

Italiener größte Einwanderungsgruppe

Unter ihnen stellen die Deutschen inzwischen die mit 284.200 zweitgrößte Gruppe nach den Italienern (291.000) und vor den Portugiesen (237.000) und den Franzosen (104.000). Die Schweizer Regierung, alle anderen im Parlament vertretenen Parteien sowie der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse und die Gewerkschaften lehnen die „Abschottungsinitiative“ der SVP geschlossen ab. Eine Studie der Universität Basel hat belegt, dass ein Drittel des Schweizer Wirtschaftswachstums der letzten Jahre von den hier lebenden Ausländern erarbeitet wurde.

Doch all das ist keine Garantie für eine Ablehnung der Initiative am Sonntag. Laut der Ende Jänner erhobenen letzten Meinungsumfrage vor der Abstimmung am Sonntag will ein Drittel der Anhänger der wirtschaftsliberalen FDP ein Ja in die Urne legen. Bei den Grünen und der Christlichen Volkspartei sind es jeweils 24 Prozent. Und im Tessin hat sich die kantonale Sektion der Grünen offen hinter die Initiative gestellt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2014)

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