Frankreichs konservative Revolution

FRANCE PROTEST GOVERNEMENT
FRANCE PROTEST GOVERNEMENT(c) APA/EPA/ETIENNE LAURENT (ETIENNE LAURENT)
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Wegen der seit 2013 legalen Homo-Ehe und anderer Sozialreformen ist eine breite Gegenbewegung auch auf der Straße entstanden. Die Linksregierung ist in der Defensive.

Jean-François Copé, Chef der konservativen Partei UMP, hat kürzlich gegen die Verwendung des Bilderbuchs „Tous à poil“ („Alle nackt“) in Schulen protestiert. Das Buch, das kein offizielles Lehrmaterial ist, macht sich mit Zeichnungen über die Geschlechtsunterschiede und damit verbundene traditionelle Rollen lustig.

Najat Vallaud-Belkacem, marokkanischstämmige Sprecherin der sozialistischen Regierung, ist empört über den „schockierenden Zensurwunsch“ von rechts. Copé, meint sie, wolle sich bei ultrakonservativen Kreisen einschmeicheln, denen es nicht um sexuelle Unterschiede gehe, sondern um die Gleichberechtigung an sich.

„Entweiht“ durch nackte Brust

Dass über ein an sich harmloses Buch so heftig gestritten wird, ist so bezeichnend wie eine andere Kontroverse: Eine Organisation traditionalistischer Katholiken („Ensemble pour le bien commun“) fordert von der französischen Post, dass man die neue Briefmarke mit dem Nationalemblem „Marianne“ nicht in Umlauf bringe. Grund: Das Modell für die Zeichnung sei die in Paris lebende Zentralfigur der Feministengruppe „Femen“, Inna Shevchenko, gewesen, deren Aktivistinnen mit nackten Busen die Pariser Kathedralen Notre-Dame und Madeleine entweiht hätten.

Noch vor Kurzem wären solche Debatten im scheinbar fortschrittlichen Frankreich undenkbar gewesen. Der Streit um die Homo-Ehe hat aber alles in Bewegung gebracht und alte Gräben aufgerissen, die zum Teil bis zur Konfrontation zwischen Revolution und Restauration zurückreichen. Zwar ist die Homo-Ehe 2013 vom Parlament verabschiedet worden, rund 7500 Paare von Schwulen und Lesben haben sich das Jawort gegeben. Die Gesellschaft hat es (bisher) überlebt. Doch für die Gegner ist das kein Grund aufzugeben: Im Gegenteil, sie fühlen sich zunehmend unterstützt durch eine konservative Gegenoffensive, deren Ausmaß alle unterschätzt haben.

Was die Bewegung gegen die Homo-Ehe gesät hat, soll im Frühling – unter anderem bei den Kommunalwahlen Ende März – Früchte tragen. Nicht von ungefähr nennt sich der Zusammenschluss der radikalsten und meist unverblümt reaktionären Homo-Ehe-Gegner „Französischer Frühling“ („Printemps français“). Nach der Homosexualität mobilisiert diese moralische, oft religiöse Rechte mit neuen Themen: Jetzt geht es um den Einfluss auf das öffentliche Erziehungswesen, die Abtreibung, die Familienpolitik oder Sterbehilfe.

Dass er anderthalb Jahre nach seiner Wahl mit dieser Opposition auf der Straße konfrontiert würde, hat sich Präsident François Hollande gewiss nicht gedacht. Die Durchsetzung der Homo-Ehe ist eines der wenigen Wahlversprechen, die der Sozialist halten konnte, der Preis dafür war indes so hoch, dass man sich im Elysée-Palast fragen muss, ob diese Geste an einen kleinen Teil der Wählerschaft, die zum Sieg von Hollande beigetragen hat, den Aufwand wert war.

Verhasste Gender-Theorien

Die oft riesigen Kundgebungen, die mitunter 200.000 Leute umfassen, haben es Gegnern solcher linken Reformen erlaubt, ihre Stärke und ihren Einfluss auf Parteien und Medien zu beweisen. Zwar hat sich die Bewegung, die sich zuerst unter dem neutralen Slogan „Manif pour tous“ („Demo für alle“) gefunden hatte, nicht zuletzt wegen wachsender Präsenz Rechtsradikaler und religiöser Fundamentalisten gespalten. Fast jedes Wochenende aber finden Demos dieser heterogenen Konservativen statt, die sich nicht in ein klassisches Schema links/rechts einordnen lassen. Das macht es bürgerlichen Parteien nicht einfach, Stellung zu nehmen: Bei Themen wie Homo-Ehe und Abtreibung ist auch die UMP gespalten.

Zwei Elemente charakterisieren den konservativen Widerstand: Empörung über Gender-Theorien, die biologische Geschlechtsunterschiede und Rollenverteilung infrage stellen. So werde im Namen der Gleichberechtigung oder des Kampfs gegen die Diskriminierung Kindern gesagt, geschlechtliche Zugehörigkeit sei wählbar. Als Gegenmittel werden unter anderem Gerüchte über „sexuell schockierenden“ Unterricht verbreitet und Eltern zum Schulboykott aufgerufen.

Krieg um die Köpfe der Kinder

Der zweite gemeinsame Nenner ist die Ablehnung des öffentlichen Erziehungssystems, das für die Republik stets eine Bastion der Fortschrittlichen war. Nicht zufällig waren es in den vergangenen 30 Jahren immer Änderungen am Kräftegleichgewicht zwischen staatlichen Schulen und (meist katholischen) Privatschulen, die Demos der einen oder anderen Seite zeitigten.

Die ohnehin sehr unpopuläre Linksregierung ist durch diesen unerwarteten Druck in die Defensive geraten. Das ist bereits ein Sieg für den konservativen „Frühling“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2014)

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