Italien: Regierungrochade im Eiltempo

ITALY GOVERNMENT LETTTA RESIGNATION
ITALY GOVERNMENT LETTTA RESIGNATIONAPA/EPA/PAOLO GIANDOTTI / HANDO
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Premier Enrico Letta trat zurück. Das Land rechnet schon für Dienstag mit einer Machtübergabe an Matteo Renzi. Nur die Anhänger von Beppe Grillo verlangen Neuwahlen.

Rom. Was Matteo Renzi soeben in Italien durchgezogen hat, ist ein Lehrstück astreiner Machtpolitik. Einen anschaulicheren Beitrag zu dem großen Jubiläumsjahr, das sie soeben in Renzis Heimatstadt Florenz gefeiert haben, kann man sich kaum vorstellen: Vor exakt 500 Jahren hat Niccolò Machiavelli seinen „Fürst“ geschrieben.

Renzi ist bei seinem Gewaltmarsch ins Amt des Ministerpräsidenten vorgegangen wie nach Drehbuch. Wer ein Reich erobern will, sagt Machiavelli, muss dort „die Großen zu schwächen suchen“ – die Parteigranden „verschrotten“, sagt Renzi – und sich das Volk gewogen machen. „Um seine Stellung zu behaupten“, darf der Fürst nicht nur, er muss tricksen und täuschen; „er braucht nicht alle Tugenden zu besitzen, muss aber im Rufe davon stehen“. Sagt Machiavelli. Verkörpert Renzi.

Renzis Zerrüttungsmaschine

Der Ministerpräsident, Renzis ruhiger, aber umso arbeitsamer Parteifreund Enrico Letta hatte da keine Chance. Seit Renzi im Dezember per Volkes Stimme Parteichef geworden war, ließ er keinen Tag aus, die Regierung kleinzureden. Schwach sei sie und lahm, und je länger Renzi seine Zerrüttungsmaschine betrieb, umso mürber wurde sie natürlich.

Nachdem ihm seine eigene Partei das Vertrauen entzogen hatte, ist Letta am Freitag formell von seinem Amt zurückgetreten. Sein Nachfolger rechnet nun damit, unter Umständen schon am kommenden Dienstag vereidigt zu werden. Staatspräsident Giorgio Napolitano hat angekündigt, die in diesem Fall üblichen Beratungen mit den Parlamentskräften „so schnell wie möglich“ über die Bühne zu bringen. Die Parteien sind mit der Machtübergabe an Renzi im Prinzip einverstanden; unverzügliche Neuwahlen wurden am Freitag lediglich von der „Fünf-Sterne-Bewegung“ des früheren Komikers Beppe Grillo gefordert.

Der Parteivorstand des Partito Democratico (PD) hatte am Donnerstag Abend dem Drängen Renzis nachgegeben und „angesichts der Probleme des Landes“ die „Notwendigkeit und die Dringlichkeit einer neuen Regierung“ beschlossen. Die Entscheidung, die mit 136 zu 16 Stimmen (bei zwei Enthaltungen) fiel, war so eindeutig nicht erwartet worden.

Enrico Letta selbst verabschiedete sich nach knapp zehn Regierungsmonaten am Freitag mit einer knappen Botschaft auf Twitter, in der er allen dankte, „die mir geholfen haben“. Vorwürfe gegen Renzi erhob Letta – jedenfalls in der Öffentlichkeit – nicht. Auch Renzi selbst, der die Fronde gegen Letta angeführt hatte, äußerte sich nach seinem Sieg im PD-Vorstand nicht mehr. Als Bürgermeister von Florenz empfing er am Valentinstag zwei Gruppen von Langzeit-Eheleuten im Rathaus und schwärmte von den Schönheiten seiner Stadt. An Renzis statt kündigte einer seiner Vertrauten für die ersten beiden Regierungsmonate einige „Schock-Maßnahmen für die Arbeitsplätze und eine Wiederbelebung der Wirtschaft“ an.

Von Renzi überfahren fühlt sich Silvio Berlusconis oppositionelle Forza Italia. Deren Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Renato Brunetta, kritisierte, dass Renzi bis zum regulären Ende der Legislaturperiode, also bis 2018, regieren wolle. „Das war nicht so abgesprochen“, sagte Brunetta. Vielmehr hätten sich Renzi und Berlusconi in ihren Gesprächen im Jänner darauf geeinigt, lediglich ein neues Wahlgesetz, sowie eine Parlaments- und Verfassungsreform im Parlament zu verabschieden „und gleich danach wählen zu lassen“.

Regieren ohne Berlusconi

Renzi kann zwar ohne Berlusconi regieren, für die von Brunetta genannten, allseits für nötig befundenen Reformen hat er aber nicht die nötige Zweidrittelmehrheit. Im Partito Democratico wird bis heute gemutmaßt, Renzi und Berlusconi hätten mehr zusammen ausgekungelt als bisher bekannt. „Renzi muss aufpassen, dass ihn Berlusconi nicht über den Tisch zieht“, hört man aus Parlamentarierkreisen.

Wie Letta, so stützt sich auch Renzi im Parlament auf ein Bündnis mit der von Berlusconi abgespaltenen „Neuen Rechten Mitte“ von Vizepremier Angelino Alfano und auf die kleine Zentrumspartei „Bürgerwahl“, die aus Mario Montis Wahlbündnis von Anfang 2013 übrig geblieben ist. Im entscheidenden Senat lag Lettas Mehrheit nur bei etwa acht Sitzen; Renzi hofft, ein paar Dissidenten aus der „Fünf-Sterne-Bewegung“ hinzuzugewinnen; diese jedoch dementiert.

AUF EINEN BLICK

Rücktritt. Nachdem ihm der Vorstand seiner eigenen Partei, des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), das Vertrauen entzogen hatte, trat Enrico Letta am Freitagnachmittag als italienischer Premierminister zurück. Nur Stunden später startete Staatspräsident Giorgio Napolitano Gespräche über die Bildung einer neuen Regierung. Nachfolger Lettas als Premier will PD-Parteichef Matteo Renzi werden. Der 39-Jährige steckt hinter dem „Putsch“ gegen Letta in der PD.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2014)

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