Präsident Gül hat zwar von der Regierung Nachbesserungen eingefordert, dann aber doch das Gesetz zur Internetüberwachung unterzeichnet. Von Opposition und EU kommt heftige Kritik.
Istanbul. Noch vor wenigen Tagen verteidigte die türkische Regierung das neue Internetgesetz als „demokratisch und fortschrittlich“ – jetzt plant sie eilig Nachbesserungen. Umstrittene Passagen sollen entschärft werden. Premier Recep Tayyip Erdoğan und Präsident Abdullah Gül, alte politische Weggefährten, haben damit eine Konfrontation vermieden, doch der Preis ist hoch, auch mit Blick auf die Beziehungen zur EU. Kritiker des Internetgesetzes innerhalb und außerhalb der Türkei haben den EU-Befürworter Gül dazu aufgerufen, das Gesetz ans Parlament zurückzuschicken – das wäre eine Ohrfeige für Erdoğan gewesen. Stattdessen unterzeichnete Gül das Gesetz, nachdem er die Zusage für Nachbesserungen erhalten hatte.
Sperren von Internetseiten
In der ursprünglichen Form gab das Gesetz der Regierung das Recht, bei angeblichen Beleidigungen eine Internetseite binnen vier Stunden zu sperren. Die Opposition warf Erdoğan vor, damit Berichte über Korruption in der Regierung unterdrücken zu wollen. Zudem sollte die Polizei den Zugriff auf zwei Jahre lang gespeicherte Surfdaten von Nutzern erhalten.
Auf Güls Wunsch hin erklärte sich die Regierung zu Korrekturen bereit. So soll die Internetbehörde von sich aus sofort ein Gericht einschalten, wenn sie eine Website sperrt. Außerdem sollen Surf-Inhalte nur noch auf richterliche Anordnung an die Sicherheitsbehörden weitergegeben werden. Die Opposition bezweifelt aber, dass sich damit viel verbessert.
Erdoğan-Kritiker hatten auf eine entschiedene Intervention Güls gehofft, um der Regierung die Grenzen aufzuzeigen. Dass Gül ein Veto vermied und sich für Nachverhandlungen entschied, hat seinem Ruf als Reformer geschadet. Rund 90.000 seiner ursprünglich 4,4 Millionen Twitter-Anhänger wandten sich am Mittwoch von ihm ab. Die türkische Anwaltskammer warf Gül einen Verstoß gegen seine Dienstpflichten vor: Wenn der Präsident Bedenken gegen ein Gesetz habe, müsse er es ans Parlament zurückschicken. So aber habe Gül ein Gesetz in Kraft gesetzt, obwohl er es für mangelhaft halte.
Beschwerdebrief aus Brüssel
Auch Erdoğan kann mit den Korrekturen nicht den Eindruck aus der Welt schaffen, dass er mehr Macht für sich selbst statt mehr Demokratie für das Land anstrebt. Erst in den vergangenen Tagen war ein Telefonmitschnitt aufgetaucht, dem zufolge Erdoğan einen privaten Fernsehsender aufforderte, dem Oppositionspolitiker Mustafa Sarigül weniger Platz in der Berichterstattung einzuräumen. Selbst Gül kritisierte dies.
Die EU zeigt sich besorgt. Medienberichten zufolge schickte die Brüsseler Kommission erneut einen Beschwerdebrief an die türkische Regierung – das fünfte Schreiben seit Aufdeckung der Korruptionsvorwürfe gegen Erdoğans Regierung im Dezember.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2014)