Zu Besuch im privaten Zoo des Viktor Janukowitsch

Der abgesetzte Staatschef muss ein Faible für Vögel gehabt haben. Aus seinem Anwesen könnte nun ein Vergnügungspark werden – oder ein Museum.

Treten Sie nicht auf den Rasen“, ermahnt der Aufseher. „Wir verhalten uns hier europäisch!“ Zu spät. Wieder ist ein ganz Neugieriger vorgeprescht, um für den Schnappschuss nahe an den Zaun zu gelangen. Hinter dem Drahtgitter paradieren zwei graue Strauße – imposante, gefährliche, übermannshohe Vögel. So oft geknipst wie jetzt wurden sie wohl in ihrem bisherigen Leben noch nicht.

Es war kein gewöhnlicher Zoobesuch, den tausende Kiewer am Wochenende unternahmen. Seit Samstagnachmittag sind die drei Meter hohen Tore zu Viktor Janukowitschs Residenz am Rande der Stadt für Besucher geöffnet. Bei seiner Flucht hat er die Strauße und die Wächter sich selbst überlassen. Nun kontrollieren Wachkräfte des Maidan, des Zentrums der Proteste gegen Janukowitsch im Herzen Kiews, das 137 Hektar große Anwesen. Sie kontrollieren auch die Taschen der Besucher, denn Souvenirräuber sollen keine Chance haben. Man will nicht zerstören, man will der Bevölkerung nur zeigen, in welchem Luxus der abgesetzte Präsident gelebt hat – und zwar auf Kosten der Steuerzahler, wie Recherchen von ukrainischen Journalisten nahelegen.

Gut verborgen hinter grünen Blechwänden, Gusseisenzäunen, und bewacht von unzähligen Videokameras lebt also ein Dutzend Strauße – neben den beiden Riesenexemplaren gibt es noch mehrere kleine in Weiß. Daneben stolzieren Pfaue, grasen Rehe und Kühe, gackern seltene Hühner. So viel ist klar: Janukowitsch muss ein Faible für Federvieh gehabt haben.

„Es ist wie ein Staat im Staat“

Aber der Rundgang in seiner Mischhirja-Residenz gibt noch weitere Einblicke in den gut geschützten und abgeschotteten Alltag. Denn er war am liebsten hier, in die Stadt fuhr er, trotz der dritten Spur, die für seine Kolonne reserviert war, und trotz des eindrucksvollen Fuhrparks in Schwarz nicht gern.

Mischhirja wirkt wie ein privates Fürstentum. „Es ist wie ein Staat im Staat“, sagt eine Besucherin, während sie die Treppe vom Wohnhaus – einem massiven Betonbau mit Hellholzverkleidung – hinabsteigt. „Er hat hier seine eigene kleine Welt geschaffen – und aufgehört zu sehen, was draußen vor sich geht“, meint sie, und mit dieser Meinung steht die Frau nicht allein da. Für viele ist die prunkvolle Residenz ein Sinnbild für den fortgeschrittenen Realitätsverlust von Viktor Janukowitsch – und für seine Gier. Es beginnt schon damit, dass das Anwesen auf umstrittenem Weg privatisiert worden ist. Diesen dubiosen Vorgang hat das Parlament am Sonntag rückgängig gemacht, unter tatkräftiger Unterstützung von Abgeordneten aus Janukowitschs eigener Partei übrigens.

Ein Restaurant für sich allein

Auf gewundenen Wegen geht es durch einen Park hinab zum „Kiewer Meer“. Hier hatte der Staatschef eine ganze Promenade für sich, auch ein Schiff steht am Ufer. Zwischen Teichen mit Springbrunnen steht ein Restaurant. „Das hatte er ganz für sich allein“, sagt ein anderer Besucher ungläubig. Ein weitläufiger Obstgarten, ein Gewächshaus und ein Fuhrpark bilden den landwirtschaftlichen Teil: War Janukowitsch gar ein Selbstversorger, fragen sich viele – und machen zur Sicherheit von allem Fotos, die seit Samstag in den sozialen Medien im Internet herumgereicht und ausgetauscht werden.

Osteuropäischer Ritterstil

Viele, die hierherkommen, tun es mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Abscheu. Manche mögen auch beeindruckt sein angesichts der Großzügigkeit der Anlage und der pompösen Einrichtung des präsidentiellen Wohnhauses in einer Art osteuropäischem Ritterstil: Vollholzmöbel, schwere Vorhänge, Kupfertische, Mosaike an den Wänden.

Doch die meisten Besucher hier draußen in Janukowitschs einstigem Domizil treibt vor allem die Frage um, was künftig mit der Immobilie geschehen soll. Vom Vergnügungspark für die Allgemeinheit bis zu einem Museum über einen geflohenen Autokraten reichen die Vorschläge. Doch den Wunsch, den der 20-jährige Denis hat, unterstützt die Mehrheit: „Es soll nicht wieder einer an sich reißen. Es muss etwas für die Öffentlichkeit sein.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2014)

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