Nach Umsturz: Angst vor Spaltung der Ukraine

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In Kiew hat das Parlament die Macht übernommen. Bis Dienstag soll nun eine Einheitsregierung gebildet werden. Im Osten des Landes werden allerdings separatistische Tendenzen stärker.

Wien/Kiew. Das Regime des autoritär regierenden Viktor Janukowitsch in der Ukraine ist zwar zu Ende, doch die Gefahr einer Spaltung des Landes ist dadurch nicht geringer geworden, im Gegenteil. Das wurde am Sonntag deutlich: Während das Parlament in Kiew den erst am Vortag ernannten Parlamentspräsidenten Alexander Turtschinow zum interimistischen Staatschef ernannte - Janukowitsch war am Samstag vom Parlament für abgesetzt erklärt worden - regte sich im Osten des Landes Widerstand gegen die neuen, revolutionären Machthaber. In mehreren Städten, darunter im Schwarzmeerhafen Odessa, gab es Demonstrationen gegen den Umsturz in Kiew, auf der Krim meldeten sich Berichten zufolge sogar Freiwillige zur „Verteidigung" der Halbinsel.

Das Parlament in Kiew hat eine Maßnahme getroffen, die die Spaltung weiter vertiefen könnte: Es entzog dem Russischen, gemeinsam mit anderen Minderheitensprachen, den Status einer regionalen Amtssprache. Dies ist vor allem für die im Osten des Landes lebenden Menschen mit russischer Muttersprache, die der neuen Führung ohnehin mit Skepsis bis offener Feindschaft begegnen, kein ermutigendes Zeichen.

Seit Samstag hat das Parlament eine Reihe weitreichender Entscheidungen getroffen: Neben der Absetzung Janukowitschs - die allerdings rechtlich fragwürdig ist, weil es sich nicht um ein reguläres Amtsenthebungsverfahren handelte - die Anberaumung einer vorgezogenen Präsidentenwahl für 25. Mai, die Freilassung der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko und die Absetzung bzw. Neueinsetzung mehrerer Minister. Dabei hat Timoschenko einmal mehr ihr Machtbewusstsein unter Beweis gestellt - und ihre Durchsetzungskraft. Denn mit Turtschinow, dem interimistischen Staatsoberhaupt, und dem neuen Innenminister Arsen Awakow bekleiden zwei Timoschenko-Vertraute Schlüsselpositionen.

EU-Außenbeauftragte reist nach Kiew

Timoschenko selbst musste die Monate des Euromaidan aus der Haft heraus verfolgen, doch seit sie am Samstag freikam, dreht sich plötzlich alles um sie: Noch in der Nacht auf Sonntag hatte sie - wegen eines Rückenleidens im Rollstuhl und gezeichnet von den Strapazen von Haft und Krankheit - einen von Jubel, aber auch Pfiffen begleiteten Auftritt auf dem Maidan und verkündete, bei der vorgezogenen Präsidentenwahl antreten zu wollen. Am Sonntag war sie kurzzeitig auch als künftige Regierungschefin im Gespräch, doch ließ sie das am Nachmittag dementieren. Zwischendurch erfolgte ein Telefonat mit Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, die die Revolutionsikone von 2004 bald treffen will und sie zur medizinischen Behandlung nach Deutschland einlud. Merkel hat Timoschenko allerdings auch aufgefordert, sich um den Zusammenhalt der Opposition und die Einheit des Landes zu bemühen.

Heute, Montag, soll die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton nach Kiew reisen, um - wie es aus ihrem Büro heißt - über die Unterstützung der EU bei der Suche nach einer „dauerhaften Lösung" der Krise und „Maßnahmen zur Stabilisierung" der wirtschaftlichen Lage zu verhandeln.

Überläufer in großer Zahl

Unklar blieb derweil, wo sich Janukowitsch aufhält. Der hat am Samstag von einem Staatsstreich gesprochen und sich geweigert, den Parlamentsbeschluss über seine Absetzung anzuerkennen. Er wurde am Sonntag im ostukrainischen Donezk vermutet, laut der russischen Agentur Interfax hinderte ihn die Grenzpolizei daran, sich ins (russische?) Ausland abzusetzen.

Bis Dienstag soll eine Einheitsregierung gebildet werden, sagte Turtschinow, als Kandidaten für das Premiersamt gelten der Timoschenko-Vertraute Arseni Jazenjuk und der Schokoladenbaron Petro Poroschenko. In den ersten Tagen ist es den bisherigen Oppositionsparteien („Vaterland" von Timoschenko, „Schlag" von Vitali Klitschko und der nationalistischen „Freiheit" von Oleg Tjagnibok) gelungen, Janukowitschs „Partei der Regionen" einzubinden, denn diese vollzieht einen veritablen Seitenwechsel und stimmte im Parlament bei allen Vorlagen mit. Die Partei ist hektisch bemüht, Janukowitsch die alleinige Schuld zu geben. Zahlreiche Abgeordnete der „Partei der Regionen" haben ein Naheverhältnis zur Oligarchie, und die sah unter Janukowitsch zuletzt ihre Felle davonschwimmen. (hd/ag)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2014)

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