Russland: "Leben unserer Bürger in Ukraine bedroht"

Gar nicht erbaut von den Entwicklungen in der Ukraine: Russlands Präsident Putin und Premier Medwedjew
Gar nicht erbaut von den Entwicklungen in der Ukraine: Russlands Präsident Putin und Premier MedwedjewREUTERS
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Moskau spricht der neuen Regierung in Kiew die Legitimität ab und wirft ihr "terroristische Methoden vor". Diese sucht derweil den abgesetzten Staatschef Janukowitsch wegen Massenmord.

Moskau verschärfte am Montagnachmittag die Gangart gegenüber der Ukraine deutlich: Premierminister Dmitrij Medwedjew sagte, Russland habe schwere Zweifel an der Legitimität der neuen Machthaber in der Ukraine. Zudem seien die Vorgänge dort "eine Bedrohung unserer Interessen und des Lebens unserer Bürger", sagte Medwedjew laut russischen Agenturen. Dies könnte sogar als verklausulierte Androhung einer Intervention verstanden werden.

Derzeit habe die russische Führung in der Ukraine keinen Gesprächspartner, in Kiew seien nur waffenschwingende Gewalttäter an der Macht: "Falls sich Leute, die in schwarzen Masken und mit Kalaschnikow-Sturmgewehren durch Kiew schlendern, als Regierung bezeichnen, so wird die Arbeit mit einem solchen Kabinett sehr schwierig sein", höhnte Medjwedjew und attackierte in einem Aufwasch auch gleich den Westen: "Einige unserer westlichen Partner halten sie für legitim. Ich weiß nicht, welche Verfassung sie gelesen haben, aber es erscheint mir als eine Verirrung, für legitim zu halten, was in Wahrheit das Ergebnis einer bewaffneten Revolte ist."

Moskau fordert Verfassungsreferendum

Das Außenministerium legte noch nach und warf der EU vor, das Abkommen, das diese am Freitag zwischen dem ukrainischen Präsidenten Janukowitsch und seinen Gegnern ausgehandelt habe, sei nur als Deckmantel für die Machtergreifung durch die Opposition benützt worden. Diese gebrauche nun "terroristische Methoden", um abweichende Meinungen im Osten des Landes und auf der Halbinsel Krim zu unterdrücken. Moskau fordere ein Referendum in der Ukraine über die Verfassung.

Premier Medwedjew kündigte zudem an, dass ein mit der Ukraine geschlossenes Abkommen über einen günstigeren Gaspreis nun neu verhandelt werden müsse. Das Moskau die "Gaspreis-Waffe" einsetzen würde, um die Ukraine unter Druck zu setzen, war in Kiew befürchtet worden. Im Dezember hatte Russland der Ukraine einen befristeten Nachlass von einem Drittel pro Kubikmeter Gas gegeben.

Janukowitsch zuletzt auf der Krim gesehen

Die neuen Machthaber der Ukraine lassen derweil nun nach dem abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch fahnden. Und zwar wegen "Massenmords" im Zuge der Unruhen der vergangenen Tage, bei denen rund 80 Menschen teils durch Scharfschützen getötet wurden. Dies gab der neue, am Wochenende vom Parlament eingesetzte Innenminister Arsen Awakow bekannt. Auch nach anderen ranghohen Amtsträger werde wegen desselben Vorwurfs gefahndet.

Janukowitsch hat sich am Wochenende in den Osten des Landes abgesetzt, wo er noch eine stärkere Unterstützung verfügt. Am Sonntag wurde er im Raum Donezk vermutet, die Grenzpolizei hat angeblich seine Ausreise verhindert. Zwischenzeitlich fehlte von ihm jede Spur, am Sonntag wurde er gesichtet, wie er ein in Balaklawa auf der Halbinsel Krim verlassen hat, teilt das Innenministerium mit. Er sei im Auto mit unbekanntem Ziel abgereist. Auf der Krim haben sich am Wochenende Bürgerwehren gebildet, die sich gegen die neue Führung in Kiew richten.

Präsidentenvilla wurde zum offenen Haus

Nach wochenlangen Protesten gegen die Staatsführung, weil diese im November die EU-Annäherung auf Eis gelegt hatte, begann für die Ukraine am Wochenende eine neue Ära: In einer dramatischen Wende übernahmen die Regierungsgegner die Macht im Parlament, enthoben Janukowitsch des Amtes und ließen die inhaftierte Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko frei. Deren Vertrauter Alexander Turtschinow wurde Übergangspräsident.

Die Privatvilla von Janukowitsch wurde per Parlamentsbeschluss zum Staatseigentum erklärt und für die Bevölkerung geöffnet. Am Wochenende besuchten schon tausende Menschen das prunkvolle Anwesen.

Neben der politischen Lage belastet auch die wirtschaftliche Situation den ukrainischen Staat: Die frühere Sowjetrepublik befinde sich "am Rande einer Zahlungsunfähigkeit", sagte Turtschinow. Janukowitsch habe "das Land ruiniert".

Neue Machthaber fordern Geberkonferenz

Die neuen Machthaber in Kiew forderten daher am Montag eine internationale Geberkonferenz. Das Land benötigt nach Angaben des Finanzministeriums rund 25,5 Mrd. Euro. Dies sei der Bedarf für 2014 und 2015, sagte Finanzminister Juri Kolobow am Montag. Die erste Tranche sei in etwa zwei Wochen nötig.

Schon am Montag wird die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in Kiew erwartet. Ashton hatte der Ukraine ebenso finanzielle Hilfen der EU in Aussicht gestellt wie auch der Internationale Währungsfonds (IWF). Der IWF zeigte sich bereit, das fast bankrotte Land zu unterstützen. Nötig seien aber legitimierte Gesprächspartner, sagte IWF-Chefin Christine Lagarde in Sydney beim Treffen der G20-Finanzminister. US-Finanzminister Jack Lew schlug baldige Gespräche mit IWF vor. Sobald eine Übergangsregierung stehe, sollte sich das Land um Hilfen bemühen, sagte Lew einem Vertreter des Ministeriums zufolge am Montag.

Der Oppositionspolitiker und Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko warb angesichts der dramatischen Lage seines Landes um Hilfe von der EU und den USA. "Wir stehen weiterhin vor sehr großen Problemen, müssen jetzt zügig eine Übergangsregierung formen. Außerdem brauchen wir schnell Reformen und dafür finanzielle Hilfe", sagte er.

Timoschenko kandidiert im Mai

Für Montag wurde die Entscheidung über einen neuen Regierungschef für eine Übergangszeit und ein "Kabinett des nationalen Vertrauens" erwartet. Timoschenko steht dafür nicht zur Verfügung. Sie will im Mai für das Amt des Präsidenten der Ukraine kandidieren.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel gratulierte Timoschenko in einem Telefonat zu ihrer Freilassung. Der Osteuropa-Beauftragte der Bundesregierung in Berlin, Gernot Erler (SPD), äußerte sich jedoch skeptisch über die neue Rolle von Timoschenko. "Wir müssen damit rechnen, dass Timoschenko sofort die Oppositionsführung übernehmen will", sagte Erler der "Welt" (Montag). Sie sei "eine charismatische Figur, aber auch eine Scharfmacherin".

(APA/dpa/AFP/Reuters)

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