Eine Herrscherclique auf der Flucht

People look through windows of the Mezhyhirya residence of Ukraine´s President Yanukovich in the village Novi Petrivtsi
People look through windows of the Mezhyhirya residence of Ukraine´s President Yanukovich in the village Novi Petrivtsi(c) REUTERS (Konstantin Chernichkin)
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Umsturz. Ex-Präsident Janukowitsch dürfte die Krim als Sprungbrett ins Ausland nutzen wollen. Der Kreml wirft der neuen Führung in Kiew indessen „diktatorische Methoden“ vor.

Es wird einsam um den Autokraten: Am Schluss verließen ihn sogar die meisten seiner Leibwächter, nur nicht sein Kabinettschef Andrej Klujew. Der abgesetzte ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch soll seit Sonntag auf der Halbinsel Krim sein. Zunächst war er angeblich in einem privaten Sanatorium, soll dann versucht haben auszureisen. An einer Zwischenstation, dem Flughafen Belbek bei Sewastopol, kam er nie an. Er verschwand mit den letzten Getreuen – womöglich die letzten Schritte in Freiheit.

Der vom Parlament am Samstag abgesetzte Janukowitsch hat eine wahre Herbergssuche hinter sich: Charkiw, Donezk, die Krim. Am Montag hieß es, er sei in einem Kloster des Moskauer Patriarchats in der Ukraine. Doch sicher ist er selbst in den vorwiegend russischsprachigen Regionen der Ukraine nicht mehr: Janukowitsch wird seit Montag wegen „Massenmordes“ gesucht. Die Oppositionskräfte, die heute ihre neue Regierung vorstellen wollen, machen ihn für die mehr als 70 Toten von Kiew verantwortlich.

Janukowitsch will wohl ins Ausland. Er könnte auf Kooperation der russischen Schwarzmeerflotte hoffen, die in Sewastopol stationiert ist: Per Boot oder Flugzeug ist es nicht weit nach Russland. Die Frage ist: Will Russlands Präsident Wladimir Putin ihn aufnehmen? Und zu welchem Preis?

Seine Gegenspielerin, die freigelassene Oppositionsführerin Julia Timoschenko, wird sich hingegen im März in Deutschland wegen ihres Rückenleidens behandeln lassen. Schon zu Haftzeiten untersuchten sie Spezialisten der Berliner Uni-Klinik Charité.

Der Kreml hat verbal derweil eine schärfere Gangart eingelegt. Russlands Premier Dimitri Medwedjew kritisierte die Anerkennung der neuen Führung in der Ukraine durch die EU als eine Verirrung. Er zweifelte deren Legitimität an. Das Außenministerium in Moskau legte noch ein Schäuflein nach. Der Westen agiere aus rein machtpolitischen Interessen. Moskau warf der Übergangsregierung in Kiew „diktatorische Methoden“ vor, die unter anderem auch die Menschenrechte der Russen verletzten würden. Dies zielt auf den Beschluss, Russisch als zweite Amtssprache in bestimmten Regionen abzuschaffen.

Zerfall der Janukowitsch-Partei

Unterdessen zerfällt Janukowitschs Partei der Regionen weiter: Seit Freitag haben mehr als 70 Abgeordnete, etwa ein Drittel, die Fraktion der Regierungspartei verlassen. Sie beteuerten, fortan „einen eigenen Kopf“ zu haben, wie Ex-Vizepremier Serhij Tigipko erklärte. Sie könnten eine neue Fraktion gründen. Zudem gibt es die Möglichkeit, als Unabhängiger im Parlament zu sitzen und nach Gutdünken abzustimmen. Schon bisher versuchten große Fraktionen, Unabhängige zum Mitstimmen zu bewegen – auch mit Geld.
Tigipko wird in der Übergangsregierung als Premier gehandelt. Auch der Ex-Fraktionschef Aleksandr Jefremow setzte sich ab: Er sprach von „verbrecherischen Befehlen“ Janukowitschs: Er und seine Getreuen trügen für die Ereignisse die Verantwortung. Noch vor Tagen hatte Jefremow den Versuch der Opposition, die Verfassung von 2004 wieder einzuführen, „illegal“ genannt.

Flughafen gesperrt

Andere, die nicht auf politische Zukunft hoffen, flüchteten: Vor allem Schwergewichte der Partei flohen aus Kiew in den Osten oder auf die Krim. Viele stammen von dort, auch sind diese Gebiete für sie noch sicher, da sie hier auf logistische Hilfe zählen können. Und vom Osten aus ist Russland nicht weit – neben Weißrussland der einzige Ort, der den „Regionalen“ sicher scheint angesichts drohender Ermittlungen gegen sie in der EU.

Doch die Flucht wird schwieriger: Starteten am Donnerstag noch viele Privatjets vom Flughafen Kiew-Zhuliani, haben die Grenzbeamten nun die Seite gewechselt: Durchkommen geht nicht mehr. So wurden Finanzminister Aleksandr Klimenko und Generalstaatsanwalt Viktor Pschonka auf dem Flughafen Donetsk festgehalten. Es gab eine Schießerei, die beiden flohen.

Oppositionelle öffneten das Anwesen von Pschonka, dessen Interieur nicht nur einen Hang zum Pompösen offenbart: Auf einem Bild ist er als Cäsar abgebildet; er soll Janukowitsch zur Erklärung des Ausnahmezustands gedrängt haben, der lehnte offenbar ab.
Unklar ist der Verbleib von Ex-Innenminister Vitali Sachartschenko. Interimspremier Sergej Arbusow soll in Moskau sein, während Ex-Parlamentspräsident Vladimir Rybak nach Kiew zurückkehrte. Verwirrung herrschte über das Schicksal des Charkiwer Bürgermeisters, der zuletzt noch einen Loyalitäts-Parteitag abgehalten hatte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2014)

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