Hier der Beweis: Dieser Palast gehört jetzt uns!

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UKRAINE EU PROTEST(c) APA/EPA/SERGEY DOLZHENKO (SERGEY DOLZHENKO)
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Die Bevölkerung hat Janukowitschs Residenz erobert. Das hat Tradition: Erst wird der Herrscher vertrieben, dann nimmt man seinen Platz ein. Dann kommen heute die Kameras und halten es für alle Zeiten fest.

Den Anfang machte eine Platzpatrone. Und auch sonst lief der „Sturm aufs Winterpalais“ in St.Petersburg in der Nacht zum 8.November 1917 wesentlich weniger spektakulär ab, als der Name es vermuten lässt: Nach dem Signalschuss aus der Bugkanone des Panzerkreuzers Aurora nahm die Rote Garde den Palast ein, und zwar ohne großes Blutvergießen. Und ohne große Zerstörung: Die Rede ist von zwei geborstenen Fensterscheiben.

Fotos davon existieren übrigens nicht: Sie wurden – Lenin und später Stalin waren sich der Macht der Bilder wohl bewusst – drei Jahre später nachgeliefert, als zum Jahrestag die Geschehnisse mit großem Aufwand nachgespielt wurden. Am Tag, natürlich, da waren auch die Lichtverhältnisse besser. Das so entstandene Foto findet sich in Sergej Eisensteins Film „Oktober“ (1928) wieder. Gern gezeigt wurde auch ein Foto, das angeblich kurze Zeit vor dem „Sturm“ geschossen wurde. Titel: „Adelige faulenzen im Winterpalais“.

Der Sitz der Macht – wer ihn einnimmt, lässt sich dabei fotografieren, ob nun ein Diktator gestürzt wird oder ein gewählter Präsident, ob das Volk ein Holzhaus stürmt oder Soldaten ein Hauptquartier hoch in den Bergen. Die Amerikaner und Franzosen lieferten sich einen wahren Wettlauf um die Eroberung von Hitlers Berghof in Berchtesgaden – das spiegelt sich auch in den Bildern wider. Eines zeigt einander zuprostende amerikanische Soldaten, die auf Gartenstühlen vor den Ruinen sitzen – sie trinken angeblich Hitlers Wein –, ein anderes Franzosen, die sich lässig an einen Mercedes lehnen, der ebenfalls aus dem Besitz des „Führers“ stammen soll, Ja, die Herrscher und ihre Autosammlungen, auch das wäre ein lohnendes Thema.

Das Symbol des Überflusses: Der Pool

Doch hier geht es um die Hauptquartiere der Macht: Zahllose Aufnahmen existieren von amerikanischen Soldaten, wie sie 2003 den Palast – bzw. die Paläste – des irakischen Diktators Saddam Hussein einnehmen, und das im doppelten Wortsinn. Erst haben sie ihn vertrieben, das Gebäude erobert – jetzt nehmen sie seinen Platz ein: Sie sitzen breitbeinig auf zierlichen Stilmöbeln, die Zigarette im Mund, sie fotografieren einander auf einem protzigen Sofa, das mit seinen goldenen Beinen und der roten Polsterung an einen Thron erinnert.

Fast noch übermütiger die Rebellen, die im August 2011 Muammar al-Gaddafis Palast stürmten: Fotos zeigen einen von ihnen, wie er sich in des Diktators Bett räkelt, das Sturmgewehr in der Linken, mit der Rechten formt er das Victory-Zeichen. Auch hier: viel Gold und viel Prunk. Besonders beliebt als Symbol für Verschwendung, vor allem in Ländern, in denen das Wasser knapp ist: der Swimmingpool. Saddam Hussein besaß gleich mehrere davon, einen besonders prunkvollen in seiner Residenz in Tikrit. Ein Foto zeigt zwei Marines, wie sie im Wasser stehen und plaudern. Noch verbreiteter: die Aufnahmen der libyschen Kinder, die den Pool und die Schwimmreifen von Gaddafis Tochter Aisha „erobert“ hatten.

Bilder wie diese sind Symbole der Besitznahme – zugleich dienen sie der Denunziation des Besiegten und damit der Legitimation des Siegers: Wer so gelebt hat, will man zeigen, in Saus und Braus nämlich, während das Volk darbte, hat sein Schicksal wohl verdient. Davon erzählen auch die Bilder aus Kiew: Das Volk hat den Sieg errungen, jetzt zeigt es uns, wie es betrogen wurde. Der Präsident hatte um seine Residenz stets ein großes Geheimnis gemacht, jetzt sollen die Bilder von den Kiewer Bürgern, die in dessen Park promenieren, über seine Strauße und seine Galeone staunen, um die Welt gehen.

Zerstörte Tuilerien

Aber was geschieht mit den Hauptquartieren der Macht, wenn sie einmal eingenommen sind? Janukowitschs Villa – ein Betonhaus mit Holzverkleidung übrigens – soll angeblich zum Museum werden. Auch an einen Vergnügungspark ist gedacht. Den Berghof hat die SS niedergebrannt, bevor er in die Hände der Alliierten fiel. Das Winterpalais blieb heil und beherbergt die Eremitage. Der Palast Gaddafis wurde geplündert, die Hinterlassenschaft der Ceauşescus versteigert.

Die Tuilerien in Paris dagegen sind zerstört, an sie erinnert heute der gleichnamige Garten: Als das französische Volk am 10.August 1792 den Palast stürmte – Ludwig XVI. war gewarnt, er legte sich vollständig angekleidet zu Bett –, zerstörte es die Inneneinrichtung komplett. Das Gebäude wurde niedergebrannt, sogar der Keller wurde unter Wasser gesetzt: Man vermutete, es hielten sich noch Männer der Schweizergarde in ihm auf.

Ob der Zorn der Libyer geringer war? Ob sie darum den Palast verschonten? Möglich wäre auch, dass so ein drastisches Vorgehen heute nicht mehr nötig ist: Man hat mit dem Fotoapparat eine neue Form gefunden, sich die Symbole der Macht anzueignen. Wer weiß, was geschehen wäre, hätten sich die Franzosen gegenseitig mit den Perücken von Marie-Antoinette und Ludwig XVI. auf dem Kopf in deren Boudoir fotografieren können...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2014)

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