Spiel mit dem Feuer auf der Halbinsel Krim

Ukrainian men help pull one another out of a stampede during clashes in Simferopol
Ukrainian men help pull one another out of a stampede during clashes in Simferopol(c) REUTERS (BAZ RATNER)
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In Simferopol, der Krim-Hauptstadt, standen einander tausende Demonstranten gegenüber. „Ukraine! Ukraine!“, riefen die einen, „Russland! Russland!“ die anderen.

Sewastopol. Wenige Tage zuvor hatte der Chef des Russischen Blocks, Gennadi Basow, noch radikale Sprüche geklopft, in seiner Heimatstadt, Sewastopol, eine Machtübernahme mit der paramilitärischen „Selbstverteidigung“ angekündigt und seine Gegner vom Kiewer Maidan als „Missgeburten“ beschimpft. Doch dann bekam er es mit der Angst zu tun – seine Anhänger auf der Straße hatten sich als hitziger erwiesen als er selbst: Basow versuchte die Demonstranten nunmehr zu besänftigen.

Ganz ähnlich verhielt es sich am Mittwoch auch in Simferopol: Die Medschlis, die Vertretungsorganisation der Krimtataren, hatte vor dem lokalen Parlamentsgebäude zu einer Demo aufgerufen. Parallel protestierten ebendort aber auch Anhänger der Partei Russische Einheit. Als es jedoch zunehmend heiß wurde, wandten sich Tatarenchef Refat Tschubarow und Russische-Einheit-Anführer Sergej Aksjonow gemeinsam an ihre Unterstützer, die sich zuvor wiederholt kleinere Scharmützel geliefert hatten. Beide Politiker forderten trotz aller ideologischen Differenzen „Frieden für die Krim“ und einen „Friedenskorridor“ auf dem Platz, der die Gruppen auseinanderhalten sollte.

Angst vor Hardcore-Nationalisten

Die Halbinsel am Schwarzen Meer, die vor 60 Jahren vom russischen Teil der Sowjetunion an die ukrainische Sowjetrepublik überschrieben worden war, durchlebt in diesen Tagen heftige Turbulenzen. Große Teile der Eliten der Krim machen deutlich, dass sie sich mit den neuen Machthabern in Kiew nicht anfreunden können. Verschärft wird die Unsicherheit durch eine laufende Selbstauflösung von Janukowitschs Partei der Region, die zu Diadochenkriegen führen dürfte.

Nachdem lokale Fernsehsender wochenlang den Maidan dämonisiert hatten, macht sich bei der Bevölkerung auch Angst breit. In allgegenwärtigen Gerüchten ist vom Anmarsch von „Banderowzy“ und anderen ukrainischen Hardcore-Nationalisten die Rede, die es im besten Falle bloß auf Lenin-Denkmäler abgesehen haben. Aber auch ein bevorstehender Einsatz russischer Streitkräfte, die zudem noch den abgesetzten Präsidenten versteckt haben sollen, wird kolportiert. Bereits vor einigen Wochen hatte die Janukowitsch-kritische Zeitung „Serkalo Nedeli“ bezeichnenderweise so getitelt: „Russland eröffnete die Krim-Front“.

In Sewastopol, in dem die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist, war davon bislang nichts zu bemerken. Politisch kocht es jedoch. Am Sonntag hatten Zehntausende den Industriellen Aleksej Tschaly, der laut Medienberichten russischer Staatsangehöriger ist, per Akklamation zum neuen Bürgermeister „gewählt“ und fälschlicherweise geglaubt, damit bereits vollendete Tatsachen geschaffen zu haben. Zwar trat am Montag der von Präsident Viktor Janukowitsch ernannte Bürgermeister, Wladimir Jazuba, zurück – Sewastopol ist die einzige Stadt der Ukraine, deren Stadtoberhaupt vom Präsidenten bestimmt wird. Doch Jazubas Stellvertreter, Fjodor Rubanow, übernahm der ukrainischen Gesetzeslage entsprechend die Amtsgeschäfte und zeigte keinerlei Anzeichen, seinen Schreibtisch räumen zu wollen. Nicht einmal, nachdem, wie es hieß, sein Auto zertrümmert und seine Frau verprügelt worden waren.

Gleichzeitig blieben Sewastopoler Polizei, Staatsanwaltschaft und Geheimdienst SBU unter Kiewer Kontrolle. Ohne äußere Einmischung dürfte die Stadt weiterhin ein Teil der Ukraine bleiben. Selbst wenn „Russland! Russland!“-Spruchchöre und russische Flaggen, die Anfang der Woche temporär an Amtsgebäuden angebracht wurden, bisweilen anderes suggerierten.

Am Mittwoch verlagerte sich die Konfrontation in die Krim-Hauptstadt Simferopol. Nachdem die Mehrheitsfraktion der Partei der Regionen eine Parlamentssitzung angekündigt hatte, fürchteten Krimtatarenvertreter, dass womöglich über eine Lossagung von der Ukraine verhandelt werden könnte. Die Tataren gelten als hartnäckigste Gegner einer Loslösung der Krim vom ukrainischen Staat und Befürworter des Euromaidan. Sie riefen zu einer Kundgebung vor dem Parlament auf, um den Status quo der Krim zu erhalten. Mehr Autonomie hingegen will die Partei Russische Einheit – sie rief ihre Anhänger ebenso auf, am Mittwoch vor das Parlamentsgebäude zu kommen.

Getrennt von einem Großaufgebot der Polizei standen sich die beiden Gruppen nahezu fünf Stunden lang gegenüber und schrien einander „Ukraine! Ukraine!“ und „Russland! Russland!“ zu. Eine Eskalation der Gewalt blieb zunächst aus. Auch deshalb, weil die Tataren- und Russenpolitiker ihre Anhänger gemeinsam aufforderten, nach Hause zu gehen. Zuvor hatte der Präsident des Krimparlaments, Wladimir Konstantinow, erklärt, dass man sich in der geplanten Sitzung keinesfalls mit einer Unabhängigkeitserklärung der Krim beschäftigen würde.

Machtkampf in der Janukowitsch-Partei

Am späten Nachmittag wurde die Sitzung, die der Auslöser für zwei Demonstrationen gewesen war, einfach abgesagt. Und alle schienen zufrieden: Sowohl die Tataren als auch die prorussischen Fraktionen hatten ihre Fähigkeiten zur Mobilisierung unter Beweis gestellt. Unklar blieb jedoch bis zuletzt, weshalb die Partei der Regionen die schließlich abgesagte Sondersitzung zunächst einberufen hatte. Beobachter in Simferopol vermuteten einen Machtkampf innerhalb dieser Partei: Mit dem Ende von Viktor Janukowitsch haben dessen „Donezker“ massiv an Gewicht verloren – auch auf der Halbinsel, deren Regierung seit 2011 von dem aus Donezk stammenden Anatoli Mogiljow angeführt wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2014)

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