Bollwerk gegen Kiews "Faschismus"

UKRAINE CRISIS CRIMEA
UKRAINE CRISIS CRIMEAAPA/EPA/MAXIM SHIPENKOV
  • Drucken

ReportageKrim. In der Stadt Sewastopol fühlt sich die Mehrheit von Moskau „beschützt“. Ein russisches Ultimatum, das mit einem Angriff auf ukrainische Truppen drohte, wurde vorerst widerrufen.

Sewastopol hat einen Ruf zu verteidigen. Den Ruf der „Heldenstadt“, der unbeugsamen Stadt, des Bollwerks gegen Faschismus. „Verteidigt Sewastopol!“ ist eine Parole, die an vielen Orten der Stadt zu lesen ist. Die Schwarzmeerstadt ergibt sich den Faschisten nicht: Auf diesen Mythos sind die Bewohner stolz, damals wie heute. In diesen Tagen seien es nicht die Hitler-Faschisten, gegen die man kämpfen muss, heißt es. Heute meint man die angeblichen „Faschisten“ aus Kiew.

Vor der Stadtverwaltung auf dem Nachimow-Platz haben sich Dutzende versammelt. Sie halten russische Fahnen in der Hand, an die Jacken sind Sankt-Georgs-Bändchen geheftet. Die orange-schwarz gestreiften Streifen symbolisieren Feuer und Schießpulver und stehen für den Heldenmut der Sowjetarmee. Es ist eine Kundgebung zur Unterstützung der neuen Führung der Krim, und der Sewastopols. Denn hier, in der Heldenstadt, hat die prorussische Gegenwehr den Ausgang genommen, als Bürger in einer Versammlung vorvergangene Woche kurzerhand den russischen Unternehmer Aleksej Tschali zum Bürgermeister wählten. Der Bürgermeister wird laut Gesetz von der Regierung in Kiew bestellt.

Truppenstärke Krim
Truppenstärke Krim(C) DiePresse

Russland drohte mit einem Angriff

Seither haben sich die Ereignisse überschlagen, und mittlerweile sind es vor allem die russischen Truppen, die Fakten schaffen: Montagnachmittag stellte die russische Schwarzmeerflotte den ukrainischen Streitkräften ein Ultimatum: „Wenn Sie sich nicht bis fünf Uhr früh (Ortszeit, entspricht vier Uhr MEZ) ergeben, wird ein Angriff auf Einheiten und Divisionen der Streitkräfte auf der gesamten Krim gestartet.“ Später widerrief das Verteidigungsministerium in Moskau jedoch diese Drohung.

Russland hat offenbar seine Truppenpräsenz auf der Krim massiv ausgebaut: Binnen 24 Stunden sollen laut ukrainischen Angaben zehn Kampfhubschrauber und acht Truppentransportflugzeuge auf der Halbinsel gelandet sein, ohne dass die Regierung in Kiew im Voraus darüber informiert worden wäre, hieß es gestern. Überdies seien seit dem 1. März vier Kriegsschiffe der Schwarzmeerflotte in den Hafen von Sewastopol eingelaufen. 6000 zusätzliche russische Soldaten sollen auf die Krim verlegt worden sein.

Iwan Komenow ist Mitglied des Bürgerrates der Stadt Sewastopol, in der Hand hält er einen Packen Papier. Die vergangenen Tage waren bewegt, auf die hiesigen Politiker wartet viel Arbeit. Ruhe und Ordnung, das sei nun die Priorität, sagt er. Man müsse die Stadt vor dem „verbrecherischen Umsturz“ schützen, der in Kiew vor sich gegangen sei, man dürfe nicht zulassen, dass die neue, in seinen Augen illegitime Regierung der ukrainischen Hauptstadt hier Fuß fasse. Komenow unterstützt das Referendum am 30. März, in dem über den Status der Halbinsel abgestimmt werden soll, also über ihre Unabhängigkeit. Sewastopol will außerdem sein eigenes Referendum abhalten, denn administrativ ist es der Regierung in Kiew direkt unterstellt. Und dieser Zustand soll möglichst schnell beendet werden.


Laut russischer Darstellung verläuft die Besetzung ukrainischer Basen erfolgreich: Der neue Krim-Premier, Sergej Aksjonow, der wiederum von Kiew nicht anerkannt wird, erklärte gestern, es seien rund 6000 Angehörige der ukrainischen Streitkräfte übergelaufen. Zuletzt habe ein Stützpunkt mit rund 800 Soldaten und 45 MiG-Kampfjets die Seiten gewechselt. Auch die Küstenwache und Flugabwehr sollen sich losgesagt haben. Angesichts der geschätzten 14.600 auf der Krim stationierten ukrainischen Soldaten scheint diese Zahl zu hoch gegriffen.

Das Kiewer Verteidigungsministerium erklärte, alle Soldaten seien „ihrem Eid gegenüber dem ukrainischen Volk weiter treu“. Der Militärflughafen Belbek war noch unter ukrainischer Kontrolle, ebenso die Basen in Feodossia und Perewalne. Die prorussische Regierung der Krim betont wiederum, jeder Soldat könne frei die autonome Halbinsel verlassen: „Wer sich nicht der neuen Führung unterstellen will, muss nicht bleiben.“

Auch in Donezk Gebäude besetzt

Ausharren oder gehen: Vor dieser Option standen auch die Soldaten im Stab der ukrainischen Marine in Sewastopol. Das Gebäude war ebenfalls von russischen Soldaten umzingelt, davor standen freiwillige Aktivisten, die das Gelände absichern. Der bisherige Chef der ukrainischen Marine, Admiral Denis Beresowskij, hat sich am Sonntag den neuen Machthabern verpflichtet. Den neuen, von Kiew ernannten Marine-Chef will hier niemand anerkennen. Vadim Pantschenko, einer der Aktivisten der Organisation „Garde Sewastopol“, ruft die Eingeschlossenen auf, sich „auf die Seite der Krim zu stellen“. Die, die das nicht wollten, könnten nach Hause gehen. Freilich ohne Waffen.

Ein älterer Mann beobachtet das Geschehen aus der Distanz. Sein Sohn, ein Offizier, befindet sich in dem Gebäude, sagt er. „Müde und ratlos“ seien die Armeeangehörigen dort. Eine einfache Lösung erwartet er nicht. „Sie haben doch einen Eid abgelegt, ein Land zu verteidigen“, sagt er. „Ein echter Soldat leistet diesen Eid nur einmal.“

Doch die Krim ist nicht der einzige Konfliktherd für die neue ukrainische Führung: Prorussische Demonstranten haben am Montag das Gebäude der Regionalregierung in der ostukrainischen Stadt Donezk teilweise besetzt. Hunderte vor dem Regierungsgebäude versammelte Demonstranten schwenkten russische Fahnen und riefen „Putin, komm!“. Der Anführer der Proteste verlangte, das Parlament in Kiew für unrechtmäßig zu erklären und einen prorussischen Gouverneur für Donezk zu ernennen. Diesem sollten alle Sicherheitskräfte unterstellt werden.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.