Slowakei: "EU hat uns unheimlich viel gebracht"

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Vor seinem Wien-Besuch zieht der slowakische Präsident Ivan Gašparovič eine Bilanz seiner zehnjährigen Amtszeit und erklärt, warum EU und Euro in der Slowakei populär sind.

Die Presse: Sie sind der bisher einzige slowakische Präsident, der für eine zweite Amtszeit wiedergewählt wurde. Sie waren lange der populärste Politiker außer Premier Robert Fico. Zuletzt hatten aber auch Sie manchen Konflikt mit den Medien.

Ivan Gašparovič: Unbeliebt geworden bin ich nur bei einem Teil der Medien, Politologen und bei manchen Politikern. Das begann damit, dass ich mich weigerte, den von der Regierung nominierten Generalstaatsanwalt zu ernennen.

Warum haben Sie ihn nicht ernannt? Er wurde regulär vom Parlament gewählt. Eine Journalistin, die das nicht akzeptieren wollte, haben Sie vor laufender Kamera gefragt: „Sind Sie Analphabetin?“ Das fand auch ich eine für ein Staatsoberhaupt unwürdige Ausdrucksweise.

Die Wahl war eindeutig manipuliert, es gab nachweislich Stimmenkauf und gegenseitige Kontrollen der Stimmabgabe bei einer geheimen Wahl. Der Wahlmodus wurde mehrfach geändert, bis der „richtige“ Kandidat gewann. Auch das Verfassungsgericht hat später bestätigt, dass die Wahl nicht korrekt war. In der Bevölkerung habe ich die Zustimmung nicht verloren. Ich bin der Politiker im Land, der am meisten auf die einfachen Bürger zugegangen ist. Bei meinen zahlreichen Begegnungen wurde mir immer wieder gesagt: „Geben Sie nicht nach!“ Ich bin stolz darauf, dass ich dem politischen und medialen Druck nicht nachgegeben habe.

Bald sind wieder EU-Wahlen. Die EU-Institutionen und auch der Euro haben in kaum einem anderen Mitgliedsland so hohe Sympathiewerte wie in der Slowakei. Und trotzdem war die Wahlbeteiligung bei beiden Wahlen zum EU-Parlament, an denen die Slowaken bisher teilnehmen konnten, nirgends so niedrig wie in der Slowakei. Wie ist dieses Paradoxon zu erklären?

Die Slowakei musste schwere Hürden überwinden, nicht nur durch die Wende, sondern auch zu Beginn der Unabhängigkeit. Das alles wäre nicht so gut gelungen ohne EU-Mitgliedschaft. Sie hat uns wirtschaftlichen Aufschwung und Reisefreiheit gebracht. Ohne EU wären all die erfolgreichen Reformen nicht gelungen. Dessen sind sich die Slowaken bewusst und darum hat die EU hier einen so guten Ruf. EU, Euro und Schengen haben uns unheimlich viel gebracht.

Aber warum dann dieses Desinteresse an den EU-Wahlen?

Ich bin überzeugt, dass daran vor allem die Parteien und Politiker schuld sind. Die slowakischen EU-Parlamentarier selbst scheinen nach der Wahl auf ihre Wähler zu vergessen. Sie diskutieren nicht mit den Bürgern über ihre tatsächlichen Probleme. Deshalb kennt sie auch kaum jemand. Nach Umfragen kann kaum ein Bürger mehr als bestenfalls zwei slowakische EU-Abgeordnete namentlich nennen. Deshalb erwarten sie von diesen Politikern auch nichts. Sie sehen keinen Sinn darin, Kandidaten zu wählen, die ihnen völlig unbekannt sind. Es ist Aufgabe von uns Politikern, die Bürger darauf aufmerksam zu machen, welche wichtige Rolle das EU-Parlament spielt.

Diese Situation nützen jetzt nicht nur in der Slowakei populistische bis extremistische Gruppierungen. In der mittelslowakischen Region Banska Bystrica gewann der Rechtsextremist Marian Kotleba sogar die Direktwahl zum Regionspräsidenten. Wie konnte das geschehen?

Alle traditionellen Parteien, ob links oder rechts, haben Kotleba unterschätzt. Sie meinten, ihre Kandidaten würden automatisch gewinnen. Doch die Bürger hatten schon die Nase voll von ihnen. Kotlebas Sieg könnte man als Rache der Bürger an den etablierten Parteien verstehen. Eine Warnung, um zu zeigen, dass die Parteien sich der Probleme der Bürger ernsthaft annehmen müssen. Der Erfolg für diesen Mann wird ein Einzelfall bleiben. Er war vorher nicht mehr als ein protestierender Bürger, aber er war für nichts verantwortlich. Jetzt muss er plötzlich reale Probleme hunderttausender Bürger lösen wie die hohe Arbeitslosigkeit in der Region oder soziale Probleme. Das wird für ihn nicht so einfach. Er ist ja ganz allein und hat im Regionalparlament keinen einzigen Abgeordneten hinter sich.

Wie sehen Sie die bilateralen Beziehungen zu Wien?

Es sind die besten, die wir je hatten. Der EU-Beitritt war unsere wichtigste Priorität nach der Unabhängigkeit. Dass wir jetzt so erfolgreich sind, haben wir der EU-Mitgliedschaft zu verdanken. Und es hat uns außerordentlich viel bedeutet, dass Österreich uns beim Beitritt so unterstützt hat. Die rund 2000 österreichischen Firmen in der Slowakei werden immer wieder erwähnt. Inzwischen werden aber auch die Verkehrsverbindungen immer besser, es sind zusätzliche Straßen, Eisenbahnverbindungen und Brücken entstanden.

ZUR PERSON

Ivan Gašparovič. Nach zwei Amtsperioden tritt der 73-Jährige im Juni zurück. Nach der Wende agierte der Uni-Professor erst als Generalstaatsanwalt der Tschechoslowakei, danach avancierte der Vertraute des Premiers Vladimir Mečiar zum Parlamentspräsidenten. Nach dem Bruch mit Mečiar behauptete er sich 2004 in einer Stichwahl zur Präsidentenwahl.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2014)

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