Steinmeier und die Stunde der deutschen Tauben

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Steinmeier(c) APA/EPA/PETER KLAUNZER / POOL
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In der Krim-Krise setzt Deutschland auf intensives Verhandeln statt Kraftmeierei. Minister Steinmeier macht Ernst mit „mehr deutschem Engagement“ – und riskiert dabei viel.

Berlin. Reden, reden, reden: Frank-Walter Steinmeier setzt in der Krise um die Ukraine und ihre Krim die Waffen eines Außenministers ein, damit die echten Waffen schweigen. Stundenlange Telefonate, Krisengipfel, Blitztermine in Genf, Paris und Kiew: Es ist, wie der SPD-Politiker nicht müde wird zu betonen, „die Stunde der Diplomatie“. Aber es ist mehr: Die Stunde der Rückkehr der Deutschen, die plötzlich wieder eine Schlüsselrolle bei der Lösung eines internationalen Konflikts spielen. Samt Kanzlerin Merkel, die laufend mit den Präsidenten Russlands und der USA telefoniert. „Wenn irgendjemand Putin überzeugen kann, die Soldaten zurück in die Kasernen zu schicken, dann ist sie es“, schreibt das US-Magazin „The New Yorker“.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hatte Bundespräsident Gauck die Marschrichtung vorgegeben: Deutschland soll die „Westerwelle-Doktrin“ der Zurückhaltung aufgeben und sich in internationalen Konflikten stärker engagieren – wenn auch meist nur diplomatisch.

Widerstand gegen Sanktionen

Das ist auch Steinmeiers Credo, und er setzt es rasch um – mit allen Risken. Sein Verhandlungsmarathon in Kiew mit den Amtskollegen aus Frankreich und Polen war nur ein halber Triumph. Zwar gelang es, das Blutvergießen auf dem Maidan zu stoppen, aber die weitere Dynamik hatten die Diplomaten unterschätzt. Wer sich einmischt, macht Fehler. Steinmeier riskiert sie auch in der Krim-Krise. „Schwierig, ernst und lange“ waren die Verhandlungen Montagabend mit seinem russischen Pendant Lawrow. Danach telefonierte er laut „Welt“ noch bis weit nach Mitternacht mit Merkel, den europäischen Partnern und den Amerikanern.

Die Deutschen positionieren sich klar: Sie sind die „Tauben“, die anders als die US-„Falken“ auf Gespräche mit den Russen setzen. So war es ihnen ebenso nicht recht, die Vorbereitungen zum G8-Gipfel auszusetzen. Merkel beugte sich der Forderung der USA, weil sie Erinnerungen an Libyen vermeiden will: Aus dem westlichen Konsens auszuscheren, kann sich Deutschland nicht mehr leisten.

Umso intensiver versuchen die Berliner Diplomaten nun, Sanktionen und russische Gegensanktionen zu verhindern.

Spindelegger schließt sich an

Eine Position, die flugs auch Michael Spindelegger übernommen hat: Nach einem Gespräch mit seinem Amtskollegen Schäuble betonte Österreichs Finanzminister und Vizekanzler gestern, dass Sanktionen „zum aktuellen Zeitpunkt nicht angesagt“ seien.

Stattdessen setzt Deutschland auf zwei sanfte Initiativen. Eine „internationale Kontaktgruppe“ soll Russen und Ukrainer wieder an einen Tisch bringen. Zudem möge eine von der OSZE geleitete „Fact Finding Mission“ auf der Krim klären, wie es wirklich um die Minderheitenrechte der Russen steht. Über beides ist der russische Präsident bereit zu reden.

Aber helfen ihm solche Initiativen womöglich nur, Zeit zu gewinnen, um auf der Krim endgültig vollendete Tatsachen zu schaffen? In Merkels Formulierungen klingt durch, wie sehr sie ihm misstraut: „Putin hat den Kontakt mit der Realität verloren“, er lebe „in einer anderen Welt“, sagte sie laut „New York Times“ zu Obama.

Über die mediale Indiskretion war das Kanzleramt wenig erfreut. Das Signal soll ein anderes sein: Man muss mit den Russen reden, und die Deutschen sind die Richtigen dafür. Tatsächlich respektiert Putin die Kanzlerin, lässt sich von ihr einiges an Kritik gefallen.

Beide sprechen – im Wortsinn – die Sprache des anderen. Dazu kommt ein russisches Grundvertrauen zu den Deutschen, das sich in der NSA-Affäre verstärkt hat: Die scharfe deutsche Kritik überzeugte Putin, dass Berlin eben kein Vasall von Washington ist. Dahinter stehen wirtschaftliche Beziehungen, die enger sind als die anderer EU-Staaten, ganz zu schweigen von denen der USA.

All das prädestiniert Berlin für seine Schlüsselrolle. Sollte Steinmeier eine echte Deeskalation gelingen, dann hat sich die neue Doktrin in der deutschen Außenpolitik glanzvoll bewährt. Wenn nicht, ist sie frühzeitig gescheitert.

AUF EINEN BLICK

Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier initiierte eine internationale Kontaktgruppe, um die Krim-Krise zu entschärfen. Sanktionen gegen Russland steht er skeptisch gegenüber. Der SPD-Politiker will den Spielraum für Verhandlungen mit Moskaus Führung nicht einschränken. Am Mittwoch traf Steinmeier erneut mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow zusammen, zu dem er einen guten Draht haben soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2014)

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