Anarchie im Exreich Gaddafis

(c) REUTERS (TIM WIMBORNE)
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Die Auslieferung des Gaddafi-Sohns al-Saadi durch den Niger ist die erste Erfolgsmeldung seit Langem. Attentate, Entführungen, Mafiabanden und eine desolate Wirtschaft prägen die Realität.

Libyens Regierung braucht dieser Tag jede noch so kleine Erfolgsmeldung. Im Land geht es drunter und drüber. Zahllose ehemalige Rebellenbrigaden, die 2011 gegen Diktator Muammar al-Gaddafi kämpften, haben sich als Mafiabanden etabliert, die Flugplätze, Häfen und Erdölfelder kontrollieren. Die Polizei wird der Anarchie nicht Herr. Nach Schätzungen des Innenministeriums kursieren seit dem Bürgerkrieg bis zu fünf Millionen Waffen im Land.

Und so bot die Nachricht von der Auslieferung des Gaddafi-Sohnes al-Saadi durch den Niger der ohnmächtigen Führung in Tripolis eine kurze Atempause, auch wenn der einstige Profifußballer unter den Regime-Verbrechern eher als kleiner Fisch gilt. Die libysche Justiz wirft ihm Korruption und Betrug bei Grundstücksgeschäften vor. Vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wird der 40-Jährige nicht gesucht. Vor drei Jahren ist er durch die Sahara über die Grenze geflohen.

Im Internet kursierten Fotos des Ausgelieferten in blauer Gefängniskleidung, während ihm ein Polizist Kopf und Bart schert. Vor dem Hadaba-Gefängnis in Tripolis, in dem auch andere Exfunktionäre aus der Gaddafi-Ära einsitzen, jubelten Bewohner der Hauptstadt. Neben al-Saadi befindet sich auch Bruder Saif al-Islam hinter Gittern, dem als Einzigem aus dem Gaddafi-Clan bisher der Prozess gemacht wird. Gaddafis Ehefrau, Tochter Aischa sowie die Söhne Mohammed und Hannibal sitzen im Asyl im Oman. Die Söhne Muatassim, Khamis und Saif al-Arab kamen 2011 bei den Kämpfen ums Leben.

Anschläge an Tagesordnung

Drei Jahre nach Beginn des Volksaufstands gegen Vater Gaddafi gehören in dem ölreichen Mittelmeer-Anrainerstaat Mordanschläge auf Offiziere, Politiker, Geistliche, Journalisten und Richter zum Alltag – ebenso wie Entführungen ausländischer Diplomaten. Vor sechs Wochen starb Vize-Industrieminister Hassan al-Droui bei einem Attentat in Gaddafis Geburtsstadt Sirte. Vize-Premier Seddik Abdelkarim kam nur knapp mit dem Leben davon, als Bewaffnete seinen Konvoi auf dem Weg zum Flughafen von Tripolis unter Feuer nahmen. In Bengasi kidnappten Unbekannte acht ägyptische Kopten und exekutierten sieben von ihnen. Wenige Tage später wurde ein französischer Techniker auf offener Straße in seinem Auto erschossen.

Entsprechend trüb sieht es auch für die Wirtschaft aus. Immer mehr ausländische Investoren suchen das Weite. Der Ölexport, mit 90 Prozent die Haupteinnahmequelle des Staates, ist bedrohlich geschrumpft. Seit Monaten blockieren Exrebellen die wichtigen Verladeterminals im Osten, was den Export Libyens von 1,4 Millionen Barrel täglich auf mittlerweile unter 350.000 Barrel absacken ließ. Mehrmals drohte Ministerpräsident Ali Zeidan bereits mit dem Einsatz der Armee. Er warnte alle Öltanker, die illegal Rohöl von den Rebellen bunkern wollen, sie würden beim Auslaufen von der Luftwaffe beschossen. Und in der Staatskasse klafft ein so großes Loch, dass die Regierung selbst ihre eigenen Beamten nicht mehr bezahlen kann.

„Ja zu Libyen, nein zu den Milizen“, skandieren die Menschen mittlerweile Freitag für Freitag. Sie fordern Neuwahlen, nachdem der im Juli 2012 gewählte „Allgemeine Nationalkongress“ sein 18-monatiges Mandat kurzerhand von Februar bis Ende 2014 verlängert hat. Kein nennenswertes Gesetz wurde im vergangenen Jahr verabschiedet.

Sturm aufs Parlament

Vorige Woche stürmten Bewaffnete gar das Parlament in Tripolis, um seine Auflösung zu erzwingen. Die Angreifer steckten Teile der Einrichtung in Brand und feuerten zwei Volksvertretern in die Beine. Ähnlich turbulent verlief auch die Wahl zur verfassunggebenden Versammlung. Etwa 100 der 1600 Wahllokale mussten wegen Schießereien geschlossen bleiben,.

Gleichzeitig steigt der internationale Druck. Man sei bereit, Tripolis zu helfen, versicherte die neue italienische Außenministerin Federica Mogherini beim Libyen-Treffen in Rom. „Die Stabilität für Libyen muss aus Libyen selbst kommen – und unsere Unterstützung kann nicht ewig dauern.“

DER GADDAFI-CLAN

Vorher. Als Fußballprofi und Nationalspieler machte Saadi al-Gaddafi Karriere. Dank Protektion schaffte er es sogar in Italiens Serie A. Bei Perugia, Udinese und Sampdoria Genua kam er über ein Dasein als Ersatzspieler nicht hinaus. Bei Juventus Turin stieg der Filmproduzent sogar in den Aufsichtsrat auf.

Nachher. Nach seiner Auslieferung aus dem Niger wurden dem 40-Jährigen Haare und Bart geschoren. Drei Brüder sind – wie ihr Diktator-Vater – im Bürgerkrieg ums Leben gekommen; seine Mutter und drei Geschwister sitzen im Exil im Oman – und sein Bruder Saif steht in Libyen vor Gericht, wo ihm die Todesstrafe droht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2014)

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LIBYA UNREST SAADI GADDAFI
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