3-Stufen-Plan gegen Putin

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Fast hatte es danach ausgesehen, als ob Europa keine Antwort auf die russische Aggression wüsste. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse – und die EU bewegte sich doch.

Brüssel. Die Anstrengung in Angela Merkels Gesicht konnte nicht einmal das Make-up verdecken, dass die deutsche Bundeskanzlerin am frühen Donnerstagabend unmittelbar vor ihrer Pressekonferenz im Brüsseler Ratsgebäude Justus Lipsius appliziert bekam. Nach Tagen frenetischer Krisendiplomatie war Merkel nach Brüssel geeilt, um gemeinsam mit ihren europäischen Kollegen bei einem Sondergipfel über die jüngsten Entwicklungen in der Ukraine zu beraten.

Und diese Beratungen dauerten länger als ursprünglich geplant – denn am frühen Nachmittag schien es fast, als hätten die Ereignisse die Staats- und Regierungschefs der EU überrumpelt. Während das Regionalparlament der Krim die Loslösung von der Ukraine verkündete, sprach der nach Brüssel gereiste ukrainische Regierungschef, Arsenij Jazenjuk, von Krieg, sollte Russland die Lage verschärfen: „Wir sind bereit, unser Land zu verteidigen.“ Und während des Mittagessens der EU-Granden platzte die Nachricht herein, die USA hätten Einreiseverbote für die russischen Verantwortlichen der Aggression auf der Krim verhängt (siehe rechts oben). Es verfestigte sich der Eindruck, dass die EU nicht Herrin über das politische Geschehen ist.

Ursprünglich wollten sich die EU-Mitglieder mit rein symbolischen Gesten begnügen: In dem Entwurf der Gipfelerklärungen, der zu Mittag die Runde machte, war lediglich von nicht näher definierten „Konsequenzen“ für die russisch-europäischen Beziehungen die Rede, sollte die russische Führung weitermachen wie bisher.
Offenbar war es der Gruppe der „Moskau-Freunde“ gelungen, selbst die am Montag von den EU-Außenministern konkret angedrohten Maßnahmen (also die Aufhebung der Verhandlungen über eine Visa-Liberalisierung sowie über ein Partnerschaftsabkommen mit Russland) unter den Tisch fallen zu lassen. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse – und die EU musste nolens volens ihren Worten Taten folgen lassen.

Symbolischer erster Schritt

Die Antwort der Union ist ein Drei-Stufen-Plan, mit dem der russische Staatschef Wladimir Putin zum Einlenken bewegt werden soll. Stufe eins ist größtenteils symbolischer Natur: Die EU suspendiert mit sofortiger Wirkung die Verhandlungen über eine Visa-Liberalisierung und das Partnerschaftsabkommen mit Russland. Stufe zwei kann nach Worten Merkels „in den nächsten Tagen“ greifen – und zwar dann, wenn Russland der Bildung einer internationalen Kontaktgruppe nicht zustimmt bzw. diese Gruppe keine zufriedenstellenden Resultate liefert – als Beispiele nannte Merkel die Vorbereitung von „freien und fairen“ Präsidentenwahlen, Gespräche auf Ministerebene zwischen Russland und der Ukraine und eine Diskussion über die Minderheitenrechte.

Tritt dieser Fall ein, wird die EU „Reisebeschränkungen und Kontosperren von bestimmten Personen in enger Abstimmung mit den USA“ beschließen, kündigte die Kanzlerin an. Sollte Putin weiter auf Eskalation setzen, tritt Stufe drei des Plans in Kraft: eine „breite Palette wirtschaftlicher Maßnahmen“. Um welche Sanktionen es sich handeln könnte, wollte Merkel gestern nicht sagen – nur soviel: „Ihre Wirkung wird darin liegen, dass man nicht tagelang darüber diskutiert.“ Und welche rote Linie darf Putin nicht überschreiten? „Es geht eindeutig um die Frage der Ostukraine.“

Neben dem Vorstoß der USA waren es vor allem zwei Faktoren, die im Laufe des gestrigen Nachmittags für ein Umdenken in Brüssel gesorgt haben: Einerseits die Entscheidung des Regionalparlaments auf der Krim, die Halbinsel von der Ukraine loszulösen, und anderseits der Auftritt von Jazenjuk – der frischgebackene Regierungschef der Ukraine hatte in einer emotionalen Rede angekündigt, das ukrainische Militär werde im Falle einer weiteren russischen Aggression „im Einklang mit der Landesverfassung handeln“. Jazenjuks Worte blieben nicht ungehört. „Die Ausführungen haben Einfluss auf die Schlussfolgerungen gehabt“, gab Merkel zu. Die „Tauben“ in der EU – dazu zählen neben Deutschland etwa Italien, die Niederlande und Griechenland –, die Russland nicht mit Sanktionen vor den Kopf stoßen wollten, zogen schlussendlich mit.

In den vergangenen Tagen hatte Berlin vor allem auf die diplomatische Karte gesetzt – nicht verwunderlich angesichts der Tatsache, dass die wirtschaftlichen Bande zwischen Deutschland und Russland eng sind. Andererseits aber wollte es Merkel aber schlussendlich nicht riskieren, ihren polnischen Kollegen Donald Tusk, der gegenüber Russland einen härteren Kurs fährt, zu brüskieren. „Ein großer Schritt in die richtige Richtung“, twitterte Tusk umgehend.

Ob der Mut für Sanktionen ausreichen wird, sollte die Lage eskalieren, wird sich freilich erst weisen. „Sollte sich der Westen zu Sanktionen gegenüber Russland entschließen, würde diese Entscheidung Kosten nach sich ziehen. Doch diese Kosten wären eine Investition in die Sicherheit Europas.“ So schätzt die Londoner Ideenschmiede Chatham House die Lage ein.

LANGER EU-KRISENGIPFEL

Die Europäische Union hat erstmals Sanktionen gegen Moskau wegen des russischen Vorgehens auf der Krim beschlossen. Die Verhandlungen über Visaerleichterungen und über ein bilaterales Wirtschaftsabkommen werden ausgesetzt. Sollte sich Russland nicht um eine Deeskalation bemühen, werden weitreichende Wirtschaftssanktionen folgen. Noch vor den ukrainischen Parlamentswahlen am 25. Mai wird die EU die politischen Kapitel des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine unterzeichnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2014)

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