Krim-Sanktionen: Wie erpressbar ist Europa?

File photo showing a gas pipe at an underground gas storage facility in the village of Mryn
File photo showing a gas pipe at an underground gas storage facility in the village of Mryn(c) REUTERS
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Europa braucht russisches Gas – aber nur so sehr, wie Russland europäische Kunden braucht.

Am Tag, nachdem die EU zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Kriegs Wirtschaftssanktionen gegen Russland angedroht hat, war der Aufschrei in Europa fast lauter als in Moskau. „Wir können uns Sanktionen gegen Russland nicht leisten“, brachte der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn die Beunruhigung der Wirtschaft auf den Punkt. Zu groß sei die Abhängigkeit des Kontinents von russischen Erdgaslieferungen. Immerhin deckt die EU fast ein Viertel ihres jährlichen Gasverbrauchs mit Importen, die der halbstaatliche russische Gazprom-Konzern liefert. Und mehr als die Hälfte davon fließt durch ukrainische Leitungen in die EU.

Bis dato hat Gazprom zwar nicht erkennen lassen, dass Lieferungen nach Europa oder in die Ukraine eingeschränkt werden sollen. Aber Europa erinnert sich noch gut an die beiden Gaskrisen vor wenigen Jahren. Zigtausende Osteuropäer mussten damals wegen eines Streits zwischen Kiew und Moskau in der Kälte zittern. Etliche sind erfroren.

Krise im günstigsten Moment

Diesmal erwischt die Krise Europa allerdings in einem sehr günstigen Moment. Der Winter ist vorbei, die Gasspeicher sind für März außergewöhnlich gut gefüllt, die Nachfrage nach Gas ist zudem gesunken. Ein plötzlicher Lieferstopp wäre für die EU also „kurzfristig leicht zu verkraften“, sagt Walter Boltz, Vizechef der europäischen Strom- und Gasregulatoren. Etlichen europäischen Energieunternehmen käme er sogar gelegen. Sie verhandeln mit Gazprom über Preisrabatte bei langfristigen Verträgen. Liefert Russland von sich aus nicht, wäre das ein willkommener Grund, die ungünstigen Verträge aufzulösen.

Es ist also höchst unwahrscheinlich, dass Moskau gar kein Gas mehr nach Europa liefern will. Schließlich hat Gazprom eben erst etliche Milliarden für eine zusätzliche Pipeline durch die Ostsee nach Europa ausgegeben. Möglich ist allerdings, dass Russland die Lieferung in die Ukraine einstellt und dadurch auch der Transit der für Europa bestimmten Gasmengen beeinträchtigt wird.

Alternativen in Norwegen

Kurzfristig wäre das kein Grund zur Sorge, langfristig könnte diese Situation aber erneut zu Versorgungsproblemen in Osteuropa führen. In Situationen wie diesen bekommen Nabucco-Nostalgiker Aufwind. Das Pipeline-Projekt, mit dem sich die EU unter der Führung der OMV unabhängiger von russischem Erdgas machen wollte, ist im Vorjahr endgültig gescheitert. Doch der Kontinent hat dennoch Alternativen, wenn das Gas aus dem Osten ausbleibt. Norwegen, Deutschland und Italien produzieren selbst Erdgas. Auch Häfen für den Import von flüssigem Erdgas aus Übersee gibt es genug.

Panik ist also unangebracht. Die Energie in Europa wird so schnell nicht knapp. Auch, weil Moskau seine europäischen Kunden mindestens ebenso braucht wie Europa das russische Gas. Die Bedeutung des Absatzmarkts Europa für den Konzern verdeutlicht ein Blick in die Bilanz. Jeden vierten Rubel Umsatz machte Gazprom 2012 in Europa. Und da hier deutlich höhere Preise gezahlt werden als in Russland, ist Europas Beitrag zu den 7,6 Milliarden Euro Gewinn wohl noch größer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2014)

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