Syrien: Zerstückelt in Kantone, regiert von Warlords

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Drei Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs herrscht ein militärisches Patt. Doch Diktator Bashar al-Assad fühlt sich so sicher im Sattel, dass er im Juni Wahlen abhalten will.

Kairo/Damaskus. Das Foto erschien in über 1000 Zeitungen. „Ein biblischer Anblick von Leid“, titelte die britische „Daily Mail“. Zehntausende Videos und Fotos existieren von dem Bürgerkrieg in Syrien, doch keines dokumentiert die humanitäre Katastrophe so eindringlich wie die von Hunger und Todesangst gezeichneten Menschen, die dicht gedrängt inmitten der Ruinen des Yarmouk-Viertels in Damaskus für UN-Notrationen anstehen.

23 Millionen Mal wurde das Bild weltweit per Twitter verschickt – genau so viele Einwohner hat Syrien. „Die Menschen sterben und sind bereits von Ratten angefressen, bevor die Nachbarn ihre Leichen überhaupt bergen können“, berichtete ein Bewohner.

Drei Jahre an Gewalt und Verzweiflung lasten auf den Seelen der Bevölkerung, von der fast die Hälfte auf der Flucht ist. Ihre Häuser sind Ruinen, Schulen und Krankenhäuser sind zerstört, Bäckereien und Felder verwüstet. Unzählige Familien haben alles verloren – ihre Angehörigen, ihre Existenz und ihr Vertrauen in die Zukunft.

Überforderte Nachbarn

Gleichzeitig überfordert der Massenexodus aus Syrien immer mehr die Kräfte seiner Nachbarnationen. Gut 2,5 Millionen Menschen haben sich bisher im Libanon, Irak, in Jordanien, Ägypten und der Türkei in Sicherheit gebracht – die größte Flüchtlingskatastrophe in der modernen Geschichte des Nahen Ostens. Zwei Drittel von ihnen sind nach jüngsten Umfragen überzeugt, dass sie ihre Heimat nie mehr wiedersehen werden. Weitere sieben bis acht Millionen irren im Landesinneren zwischen den Fronten herum.

Dabei hatten die aufständischen Bürger am 15.März 2011, der ersten landesweiten Massendemonstration gegen die Diktatur von Bashar al-Assad, mit heroischem Mut versucht, sich nicht provozieren zu lassen und ihre Rechte gewaltfrei einzufordern. Wochenlang trotzten sie den Schüssen der Sicherheitskräfte, den systematischen Folterungen. Dieses zivile Aufbegehren ist längst Geschichte, untergegangen in einem schier endlosen Strom von Mord und Totschlag. Heute liegt die Zahl der Opfer bei mindestens 140.000.

Denn die Schlachten toben überall, auch um die Hauptstadt Damaskus herum. Städte wie Aleppo, Homs, Hama, Deraa und Deir Ezzor sind schwer verwüstet und müssen zum Teil ganz neu aufgebaut werden. Seit Sommer 2013 jedoch gewinnt die syrische Armee langsam die Oberhand, unterstützt von Eliteeinheiten der Hisbollah. An zahlreichen Fronten hat sie die Rebellen zurückgedrängt, zumal diese in den letzten Monaten schwere Kämpfe untereinander ausfochten. Noch herrscht ein militärisches Patt, doch Bashar al-Assad fühlt sich wieder so sicher im Sattel, dass er im Juni Präsidentenwahlen abhalten und für eine dritte Amtszeit kandidieren will. Wie das funktionieren soll, weiß niemand.

Aufseiten der Aufständischen wird die Hauptlast der Kämpfe mittlerweile von den durch die Golfstaaten finanzierten Islamistenbrigaden getragen, deren 45.000 Bewaffnete sich zur Islamischen Front zusammengeschlossen haben. Den moderaten Rebellen der Freien Syrischen Armee dagegen mangelt es an Waffen und Munition, ihre politische Führung ist heillos zerstritten. Die Genfer Verhandlungen im Januar und Februar mit dem Regime gingen ohne jede Annäherung auseinander. Experten wie Christopher Phillips vom britischen Thinktank Chatham House sprechen inzwischen von einem „unlösbaren Konflikt“.

Ein geeintes Syrien wird es wohl nicht wieder geben. Gut ein Jahrzehnt nach dem Einmarsch der US-Armee in den Irak steht damit ein weiteres Land der orientalischen Kernregion vor dem inneren Zerfall. Entsprechend düster fällt das Fazit von Robert Ford, dem früheren US-Botschafter, aus: „Das Syrien, das es einmal gab, existiert nicht mehr. Am Ende wird ein Land übrig bleiben, zerstückelt in kleine Kantone und beherrscht von rivalisierenden Warlords.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2014)

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