Lindner:„Das nahm der FDP die Selbstachtung“

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Lindner(c) Clemens Fabry
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FDP-Chef Christian Lindner über den Absturz seiner Partei bei der letzten deutschen Bundestagswahl, die „Unterwerfung“ der Liberalen unter die Union und den Pioniergeist der Neos.

Die Presse: Warum ist die FDP bei der letzten Wahl aus dem deutschen Bundestag geflogen?

Christian Lindner: Wir sind den eigenen Maßstäben nicht gerecht geworden. Mängel im Auftreten, falsche Prioritäten und zu geringe Durchsetzungsfähigkeit. Unser Ziel der Steuerentlastung passte nicht zur Schuldenkrise in Europa. Wir haben zu spät auf Entschuldung umgestellt. Dabei waren wir aber so erfolgreich, dass die Große Koalition jetzt Wahlgeschenke verteilen kann, die die gewonnenen Stärken wieder gefährden. Geschmerzt hat der Vorwurf, die FDP sei eine Klientelpartei. Die FDP muss deshalb ihre Unabhängigkeit betonen.

Eine schwere Aufgabe. Wenn eine Partei auf ihren Kern geschrumpft ist, muss sie Rücksicht auf ihre Stammklientel nehmen.

Sie muss vor allem zurück zu ihren Kernwerten. Unser Wählerpotenzial hat nichts mit Einkommen oder Beruf zu tun, deshalb mache ich auch keine Politik für einzelne Berufsgruppen. Die Wähler der FDP sind durch ein liberales Lebensgefühl verbunden: den Wunsch, selbstbestimmt zu leben, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und anderen großzügig ein gelingendes Leben zu wünschen, die Freude an der eigenen Schaffenskraft. Das finden Sie in jeder gesellschaftlichen Gruppe.

Das finden Sie in jeder Partei.

Andere Parteien wollen den Staat zu unserem Vormund machen. Die Anwältin, die ihren Wohlstand für selbstverständlich hält und anderen sagt, wie sie leben sollen, wählt Grün. Die FDP verbindet das Eintreten für eine starke Wirtschaft mit gesellschaftspolitischer Liberalität. In dieser Kombination gibt es das sonst bei keiner anderen Formation in Deutschland. Nur wir geben erst der Eigenverantwortung der Bürger eine Chance, bevor nach dem Staat gerufen wird.

Laut Umfragen liegt das Potenzial für eine liberale Partei in Deutschland bei 20Prozent. Trotzdem kommt die FDP kaum über fünf Prozent. Warum?

Die Menschen beobachten, welche Konsequenzen die FDP aus dem Wahldesaster des letzten Jahres zieht. Wir sind im Wandel.

War Ihre Partei zu populistisch? Unter Guido Westerwelle machte die FDP gegen Personen Stimmung, die in der sozialen Hängematte lägen und spätrömischer Dekadenz anheimgefallen seien.

Das war nie meine Position, und das waren auch nie meine Worte. Die FDP ist nicht sozial kalt. Aber wir wollen Menschen in Eigenverantwortung zurückführen. Teilhabe und Chancen sind für uns sozial. Die Erhöhung eines staatlichen Taschengelds und mehr Umverteilung führen nicht zu mehr Selbstbestimmung.

War es ein Fehler von Westerwelle, sich das Amt des Außenministers auszusuchen?

Unsere Ressorts stimmten 2009 nicht. Die FDP hätte das Finanzministerium beanspruchen müssen. Wir haben 2009 die Wahl gewonnen, die Union die Koalitionsverhandlungen. 2013 war es andersherum: Die Union gewann die Wahl, die SPD die Regierungsbildung.

Die Alternative für Deutschland bedient mit europakritischen Akzenten ein ähnliches Milieu wie die FDP. Wie wollen Sie diese Wähler ansprechen?

Auch ich bin mit mancher Entwicklung in Europa nicht einverstanden, nämlich immer dann, wenn die EU sich um Olivenkännchen, Glühbirnen und Staubsauger kümmert, aber nicht um Datenschutz, globale Wettbewerbsfähigkeit und Energieversorgung. Die Alternative für Deutschland ist keine bürgerliche Partei mehr. Ein Liberaler wird sie nicht mehr wählen. Während sie zu Beginn einige Professoren hinter bürgerlichen Thesen versammelt hat, verlässt ihr Vorsitzender jetzt lieber eine Fernsehsendung, als sich von ausländerfeindlichen Ressentiments zu distanzieren. Das ist eine Partei, die gegen homosexuelle Fußballer wettert und auf dem Weg zum Rechtspopulismus ist. Sie ist mit der FDP nicht vergleichbar, eher mit der FPÖ, schlimmer noch: mit Le Pens Front National.

Die FDP war zuletzt eng an Angela Merkels Union gebunden. Wollen Sie das anders machen?

Ich habe gute Kontakte zur Union und zur SPD. Aber wir sind eigenständig und definieren uns nicht über die Nähe oder Ferne zu irgendeiner anderen Partei.

Es war schon auffällig, wie sehr die FDP bei der letzten Wahl um Zweitstimmen der Union bat.

Das nahm meiner Partei die Selbstachtung. Unsere Unterstützer halten es nicht aus, wenn die FDP für nichts steht und nur aufgrund der Unterwerfung unter eine andere Partei gewählt werden will.

Die mediale Aufmerksamkeit für die FDP ist geringer geworden...

Es ist eine Realität, mit der im Moment alle Oppositionsparteien in Deutschland umgehen müssen. Über zu wenig Talkshow-Auftritte und Interviews kann ich mich persönlich nicht beklagen. In der jetzigen Phase der Neuaufstellung geht aber nichts über die Veranstaltung und den Dialog vor Ort.

Inspiriert Sie der Neos-Erfolg?

Ich habe hier in Wien Pioniergeist erlebt. Die Neos haben gezeigt, wie eine moderne Partei Bürgerbeteiligung organisiert. Sie haben eine große Chance, wenn sie sich inhaltlich nicht verengen. Das Liberale Forum hat nach meiner Beobachtung die Lücke für eine marktwirtschaftliche, innovative Partei in Österreich nicht füllen können. Das ist die Chance der Neos.

ZUR PERSON

Christian Lindner (35) ist seit Dezember 2013 FDP-Chef. Der Politologe und Ex-Unternehmensberater soll die Partei nach dem Debakel bei der Wahl 2013 erneuern. Er war auf Einladung der Denkfabrik Agenda Austria in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2014)

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