Der angeschlagene Premier Erdogan will den Kurznachrichtendienst "mit der Wurzel ausreißen". Doch selbst Präsident Gül verurteilt das Verbot - und setzt sich darüber hinweg.
Nur Stunden nachdem der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan seine Drohungen gegen soziale Medien verschärft hatte, setzte er diese schon in die Tat um: Die Türkei hat am frühen Freitagmorgen den Zugang zum Kurznachrichtendienst Twitter blockiert. Trotz des Verbots wurden eine halbe Million Tweets aus der Türkei abgeschickt. Twitter hatte seinen dortigen Nutzern erklärt, wie sie Tweets über SMS absetzen könnten. Viele umgehen so die Sperre.
Türkische Internetnetnutzer, die Twitter ansteuern wollten, bekamen eine Nachricht der Telekommunikations-Aufsichtsbehörde (TIB) auf den Schirm. Darin werden vier von Twitter ignorierte Gerichtsanordnungen als Grund für die Blockade angeführt. Es geht dabei auch um die Entfernung von Audiomitschnitten, die den Premier in der aktuellen Korruptionsaffäre belasten.
Die Blockade neun Tage vor den Kommunalwahlen in der Türkei sorgte für einen Sturm der Entrüstung in den sozialen Netzwerken - Tweets mit dem Hashtag #TwitterisblockedinTurkey verbreiteten sich wie ein Lauffeuer.
Die Maßnahme könnte sich sehr schnell zum Eigentor für die türkische Regierung entwickeln - der Aufschrei in den sozialen Medien ist groß und im Netz findet man hunderte Hinweise, wie man die Sperre umgehen kann. Auch Twitter gab Tipps. Und es tauchten zahlreiche Memes, Botschaften sowie weltweite Solidaritätsbekundungen zum Twitter-Verbot auf.
Twitter selbst rät den Nutzern in der Türkei aktuell, ihre Tweets per SMS abzusetzen. Über VPN-Zugänge oder Anonymisierungsdienste wie TOR können Nutzer zudem ihren Standort verbergen. Dadurch ist nicht mehr erkennbar, ob sie sich aus einem bestimmten Land, etwa der Türkei, oder von außerhalb einwählen. Die Sperre greift dann nicht mehr. Man kann aber auch auf einen anderen DNS-Server, etwa von OpenDNS oder Google ausweichen, der nicht manipuliert wurde. Die Nutzer legen damit praktisch zusätzliche Adressbücher an.
"Twitter mit der Wurzel ausreißen"
Erdogan hatte dem Kurznachrichtendienst zuvor den Kampf angesagt: "Twitter und solche Sachen werden wir mit der Wurzel ausreißen. Was dazu die internationale Gemeinschaft sagt, interessiert mich überhaupt nicht", zitierte die türkische Nachrichtenagentur Anadolu den Regierungschef am Donnerstag.
Der türkische Premier hatte bereits zuvor angekündigt, nach der Kommunalwahl Ende des Monats gegen soziale Medien - die von seinen politischen Gegnern stark genutzt werden - vorzugehen. Dies schwächte er dann zunächst wieder ab, nachdem Staatspräsident Abdullah Gül ihn dafür kritisiert hatte.
Und Gül ist es auch, der Erdogan nach dem jüngsten Twitter-Verbot vorführte: Der Präsident setzte sich am Freitag über das in der Nacht erlassene Verbot hinweg und erklärte über seinen Twitter-Account, die Blockade des Kurznachrichtendiensts sei inakzeptabel. Technisch sei es ohnehin nicht möglich, weltweit tätige Plattformen wie Twitter gänzlich zu verbieten, erklärte Gül.
Sollten per Twitter begangene Straftaten vorliegen, könnten nur individuelle Beiträge auf Gerichtsbeschlüsse hin gelöscht werden. Er hoffe, dass das Verbot nicht lange in Kraft bleiben werde.
Der Streit zwischen Präsident und Regierungschef wirft ein Schlaglicht auf den Richtungsstreit in der politischen Führungsebene. Gül und Erdogan sind langjährige Weggefährten und gehören beide der gemäßigt-islamischen Partei AKP an.
Internationale Kritik
Die westlichen Partner der Türkei haben auf die Twitter-Sperre von Erdogan scharf reagiert. "Es entspricht nicht unserer Vorstellung von Meinungsfreiheit, irgendwelche gearteten Kommunikationswege zu verbieten oder auszuschließen", sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Deutschlands, Christiane Wirtz, am Freitag in Berlin.
Österreichs Außenminister Sebastian Kurz gab am Freitag gegenüber der Austria Presse Agentur zu Protokoll: "Ich habe absolut kein Verständnis für die Twitter-Sperre. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut und zu schützen. Überall, aber im Besonderen in Ländern mit EU-Kandidatenstatus."
Für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sei die Twitter-Sperre ein "weiterer Schritt zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit", sagte die OSZE-Beauftragte für die Freiheit der Medien, Dunja Mijatovic, am Freitag in Wien.
Die aktuellen Tweets zur Twitter-Sperre:
(APA/dpa)