Belgrads Spagat zwischen West und Ost

Serbien, EU, Belgrad
Serbien, EU, Belgrad(c) EPA (Valdrin Xhemaj)
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15 Jahre nach dem Kosovo-Krieg strebt Serbien in die EU, doch das Verhältnis zur Nato, die damals auch Belgrad bombardierte, bleibt ambivalent. Das Land steckt zunehmend in einem Loyalitätskonflikt.

Belgrad. Just ein Werbeplakat für die Armee verhängt seit Kurzem die Fensterhöhlen von Belgrads größter Kriegsruine. Doch nicht nur bei den Überresten des Generalstabsgebäudes sind die Spuren des Krieges auch 15 Jahre nach Beginn der Luftangriffe der Nato auf Serbien noch immer nicht getilgt. Noch dümpelt der angeschlagene Krisenstaat in einer scheinbar endlosen Nachkriegszeit, und im Verhältnis zum Urheber der damaligen Luftattacken tut sich Belgrad weiterhin schwer. Beim Lavieren zwischen West und Ost sieht sich der EU-Anwärter mit zunehmenden Loyalitätskonflikten konfrontiert.

78 Tage lang ließ die Nato 1999 die Bomben auf Serbien, Montenegro und den Kosovo prasseln, um Belgrads Autokraten Slobodan Milošević zum Rückzug seiner Truppen aus dem Kosovo zu bewegen. Bei der Schätzung der Schäden der insgesamt 2300 Luftangriffe tun sich selbst serbische Institutionen und Medien schwer. Von 770 bis mindestens 2500 wird die Zahl der Todesopfer beziffert. Die Schätzung der materiellen Schäden schwankt zwischen 30 und 100 Milliarden Dollar. Viele der von der Nato zerstörten Brücken und Straßen sind längst repariert. Geblieben sind die Vorbehalte gegenüber dem einstigen Kriegsgegner: Laut Umfragen lehnen mehr als 70Prozent der Serben einen etwaigen Nato-Beitritt resolut ab, nur jeder Zehnte würde ihn befürworten.

Weg in die EU führte über die Nato

Doch ob die Nachbarn Bulgarien, Rumänien und Ungarn oder der einstige Kriegsgegner Kroatien: Bei fast allen EU-Staaten der Region führte der Weg in die EU über die Nato. „Muss Serbien auf dem Weg zur EU Mitglied der Allianz werden?“, fragte sich das Wochenblatt „Nin“ jüngst – und listete die wachsende Zahl gemeinsamer Militärprojekte auf: Von einem Abkommen zum Truppentransit über das Programm „Partnerschaft für den Frieden“ und die Teilnahme an faktisch von der Nato geführten Friedensmissionen bis hin zu gemeinsamen Manövern und der Schulung heimischer Militärs in Nato-Institutionen reicht die Kooperation mit dem Militärpakt.

Serbien habe langfristig keine andere Wahl, als der Nato beizutreten, glaubt der Belgrader Armee-Analyst Aleksandar Radić: Ansonst drohe dem Land die sicherheitspolitische „Marginalisierung“. Völlig anderer Ansicht ist Aleksandar Cerupin, der russische Botschafter in Belgrad: Eine Nato-Mitgliedschaft Serbiens sei für Moskau „unannehmbar“ und das Überschreiten einer „roten Linie“, warnte der Diplomat.

An einen Nato-Beitritt denkt Serbien indes ohnehin nicht. Belgrad strebe keine Nato-Mitgliedschaft an, versicherte Ende des Vorjahres erneut Außenminister Ivan Mrkić: Aber sein Land werde für die Nato „ein verlässlicher und verantwortungsvoller Partner“ sein. Doch welchen Zielkonflikten sich der – sich selbst als neutral verstehende – EU-Anwärter ausgesetzt sieht, bekommt Belgrad bei der europaweiten Debatte um etwaige Sanktionen gegen Russland nun doch verstärkt zu spüren.

Mit der Unterstützung von Sanktionen gegen Moskau würde Belgrad einen festen Verbündeten in der internationalen Arena verstimmen. Eine Zustimmung zur Annexion der Krim würde wiederum die eigenen Ansprüche auf den längst verlorenen Kosovo untergraben. Vorerst muss Belgrad weiter den Spagat zwischen Ost und West versuchen. Serbien werde seine „Verpflichtungen“ gegenüber der EU erfüllen, aber „keine feindliche Haltung“ gegenüber Russland einnehmen, sagte Aleksandar Vučić, Chef der Regierungspartei SNS und designierter Premier.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2014)

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