Russland feilt an revolutionärer Panzer-Serie

Illustration des T-99
Illustration des T-99defense-update.com
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Nicht nur vor dem Hintergrund der Krim-Krise setzt Moskau auf Stahl: Ab 2015 soll der T-99 der "Armata"-Fahrzeugserie als Standardkampfpanzer eingeführt werden. Seine Konstruktion wird teilweise völlig neuartig sein.

Vor dem Hintergrund der köchelnden Krise um die Krim bzw. die Ukraine, angesichts anderer potenzieller "Hotspots" in Osteuropa (etwa Baltikum, Moldawien) und der anhaltenden De-Militarisierung Mitteleuropas erhält das ungeahnte Aktualität: Noch heuer wird es sich entscheiden, ob ein neues russisches Panzerprojekt zur Serienreife gelangt, nämlich der Kampfpanzer T-99. Der soll Teil einer ganzen Fahrzeugserie sein, die unter dem Namen "Armata" firmiert. Im günstigsten Fall könnten die ersten Auslieferungen an die russische Armee schon 2015 beginnen - bis spätestens 2020, heißt es, sollen etwa 2300 T-99 gebaut werden.

"Wir gehen in die neue Forschungs- und Entwicklungsphase über, die 2015 beendet sein soll", hatte Wyacheslaw Khalitow, Vizegeneraldirektor des Schwerindustriekonzerns Uralwagonsawod, bereits im Herbst gesagt. Die Serienfertigung ist für 2016 angesetzt. Drei Armata-Prototypen seien im Test; zuletzt bestätigte das britische Fachmagazin "Jane's Defence", dass Uralwagonsawod - der Konzern hat seinen Sitz in der 360.000-Einwohner-Stadt Nischni Tagil im Bezirk Swerdlowsk im Ural - mit den Erprobungen bereits voll begonnen habe

Turm ohne Besatzung

Über den T-99, dessen Konzept zumindest einem russischen Insiderkreis seit vorigen Herbst gut bekannt sein muss, ist im Ausland an sich noch nichts Definitives bekannt. So viel durchsickerte, wird es sich um ein Fahrzeug von um die 50 Tonnen Gewicht handeln, betrieben von einem Dieselmotor im 1400- bis 1600-PS-Bereich und einer überwiegend neu entwickelten 125-Millimeter-Glattrohrkanone mit 32 Schuss im Magazin und vollautomatischem Ladesystem, die auch Panzerabwehrraketen verfeuern können soll. Die Geschwindigkeit soll 80 km/h bei mehr als 500 km Reichweite betragen.

T-99 (Illustration)
T-99 (Illustration)armyrecognition.com

Neuartig wird vor allem die Konstruktion des Turms sein: In diesem bei allen Kampfpanzern zentralen Modul sitzen üblicherweise zwei bis drei Besatzungsmitglieder (Kommandant, Richtschütze und gegebenfalls ein Ladeschütze); der Turm des T-99 soll aber unbemannt bleiben, er wird mitsamt Kanone (und mindestens einem koaxial montierten Schnellfeuer-Granatwerfer Kaliber 30 bis 35 Millimeter und einem MG) ferngesteuert, nämlich von der Wanne des Panzers aus. In dieser soll die gesamte Besatzung - Kommandant, Richtschütze, Fahrer - wie in einem Bunker sitzen, und weil der unbemannte Turm viel flacher als sonst gebaut werden kann und daher leichter sein wird, kann die Wanne dafür noch stärker als üblich gepanzert werden. Der flache Turm senkt auch die Höhe des Panzers und macht ihn zu einem kleineren Ziel.

Eine ganze Fahrzeugserie

Auch Klimaanlagen (bei russischen Tanks lange alles andere als üblich) und aktive Schutzsysteme gegen anfliegende Panzerabwehrraketen (solche Systeme funktionieren mit Annäherungs-Sensoren und schleudern Raketen etwa Splitterwolken und Explosivladungen entgegen) werden wohl vorhanden sein.

Mutmaßlicher Aufriss des T-99
Mutmaßlicher Aufriss des T-99armyrecognition.com

Eine weitere Besonderheit ist die Gestaltung des Armata-Systems an sich (Armata ist der Plural des griechischen Worts für "Streitwagen"): Es wird wie erwähnt zur Basis einer kompletten Fahrzeugserie, die etwa auch Schützenpanzer (Arbeitsname "Kurganets 25"), Panzerartillerie, Flammenwerferpanzer, Flugabwehrpanzer und Bergepanzer umfassen kann ; weil alle diese Fahrzeuge das gleiche Fahrgestell haben, werden Produktion und Wartung deutlich erleichtert und verbilligt. Armata läuft daher auch unter dem Namen "Universelle Kampfplattform".

Armata hat auch deshalb entscheidende Bedeutung für die russische Rüstungsindustrie bzw. das Militär, weil seit der Indienststellung der derzeit modernsten russischen Kampfpanzerserie T-90 Anfang der 1990er zwei groß angekündigte Panzerprojekte wieder eingeschlafen sind. Der T-95 (offiziell "Objekt 195") hätte als besondere Features ebenfalls einen ferngesteuerten Turm sowie eine hydropneumatische Federung ähnlich des französischen "Leclerc" erhalten sollen, dazu eine ungewöhnlich große und gewaltig zuschlagende Kanone vom Kaliber 152 Millimeter (im Westen sind 120 mm Standard).

Grafik eines T-95
Grafik eines T-95 Vulcan Raven/wikipedia

Im Mai 2010 strich das Verteidigungsministerium aber die finanziellen Mittel für den Panzer, hauptsächlich wegen genereller Einsparungen im Militärbereich und der Entscheidung, die T-90 kampfwertzusteigern.

Der Schwarze Adler flog nicht weit

Ähnlich erging es "Objekt 640" auch "Schwarzer Adler" und im Westen T-2000 genannt: Dieses Fahrzeug der Firma "Omsktransmash" in Omsk (Westsibirien), das Ende der 1990er bekannt wurde, fiel vor allem durch seinen ultraflachen Turm mit einer halbrunden, fächerartigen Zusatzpanzerung an der Vorderseite und einer neuen Ladeautomatik an der Rückseite auf. Es gab auch Gerüchte über eine radarabsorbierende Beschichtung.

Prototyp eines Schwarzen Adlers
Prototyp eines Schwarzen Adlersdoppeladler.com

Die Firma ging 2002 bankrott, Uralwagonsawod übernahm die Entwicklungsabteilung und militärischen Konstruktionsrechte, verfolgte aber das Projekt auch wegen des eigenen T-95 nicht weiter; Exportkunden wie der Iran und Zypern hatten auch kein Interesse gezeigt.

Uralwagonsawod (der Name bedeutet Uralwaggonwerk) wurde in den 1930ern als Waggonfabrik gebaut und erweiterte rasch auf Bagger, Traktoren, andere Arbeitsmaschinen, diverse Metalllegierungen und Konsumgüter sowie eben Panzer- und Panzerfahrzeuge. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Unternehmen mit mehreren anderen Panzerwerken verschmolzen und zum größten Panzererzeuger der Welt, hier liefen bis 1945 allein mehr als 30.000 Stück des berühmten T-34 vom Band, jenes Panzers, der schon aufgrund seiner Zahl den Krieg im Osten zugunsten der UdSSR entschied.

Größter Panzerbauer der Welt

Noch heute ist die Firma der weltgrößte Panzerfabrikant und soll in den vergangenen Jahren allein mit dem T-90 etwa 15 bis 20 Prozent ihrer Umsätze erzielt haben. Mindestens 1660 Stück wurden seit 1991 gebaut und die meisten davon exportiert, etwa nach Indien und Algerien. In Indien werden T-90-Varianten auch unter dem Namen "Bhishma" in Lizenz gefertigt.

Indische T-90 (Bhishma)
Indische T-90 (Bhishma)flickr/wikipedia

Mit dem künftigen T-99 indes möchte Russland wohl einen wesentlichen Teil seiner aktiven Panzerflotte ersetzen. Deren Größe wird in internationalen Fachkreisen übrigens nicht einheitlich angegeben, was vor allem daran liegt, dass Russland viele Tausend ältere Panzermodelle eingelagert hat - mit mehr oder weniger Aussicht auf Reaktivierung, viele sind nur noch zum Ausschlachten gut. Vermutlich wissen die Russen selbst nicht einmal genau, wie viele Panzer sie haben - insgesamt gesehen hat aber kein anderes Land so viele Kampfpanzer wie Russland.

Halbwegs verlässliche Zahlen sind wie folgt: Rund 740 T-90 und 2200 meist kampfwertgesteigerte T-72 sind auf die aktiven Panzereinheiten aufgeteilt.

4500 T-80 wurden hingegen in den vergangenen Jahren schrittweise eingelagert, die letzten erst vorigen Dezember. Die T-80 hatten in den Tschetschenienkriegen der 1990er-Jahre schwere Verluste, vor allem, weil sie taktisch falsch eingesetzt wurden: Sie fuhren ohne ausreichende Infanteriebegleitung direkt in Städte, wo sie von Nahkämpfern mit Panzerfäusten, Brandsätzen, Minen und ähnlichem reihenweise zerstört wurden.

Zerstörter T-80 in Grosny
Zerstörter T-80 in Grosnyvietnamdefence.com

Weitere bis zu 8000 T-72 sind in der Reserve, ebenso rund 4000 alte T-64, sogar noch etwa 850 T-62 und 1200 nun aber wirklich obsolete T-55. Einige hundert der T-64 und T-62 sollen indes noch in aktiven Verbänden sein, vermutlich zur Ausbildung oder rein in der Rolle als Sturmgeschütze zur Infanterieunterstützung. Man kommt jedenfalls theoretisch auf Gesamtzahlen von mehr als 21.000 Kampfpanzern, wohl ein Drittel davon sind nicht mehr einsatztauglich.

Die verstreuten Panzerkräfte der NATO

Ein wesentlicher Teil der Panzereinheiten ist an den Südgrenzen zum Kaukasus und Zentralasien sowie gegenüber China stationiert. Im Westen (sprich der Nato) stehen dem nach vielen Jahren der Abrüstung insgesamt etwas schwächere (das waren sie relativ gesehen natürlich schon zu Sowjetzeiten), vor allem aber regional zersplitterte Panzerkräfte gegenüber.

Frankreich etwa hat derzeit nur noch etwa 400 Kampfpanzer Leclerc, Großbritannien etwa ebenso viele Challenger, Polen etwa 750 verschiedener Typen (Tendenz rasch abnehmend), Deutschland etwa 350 Leopard II (Tendenz sinkend, aber angeblich 1000 bis 1500, darunter Leopard I, in Reserve). Halbwegs größere europäische Nato-Länder wie Italien und Spanien bringen eben noch je etwa 320 Kampfpanzer zusammen, kleinere wie Dänemark und Norwegen je 50 bis 60; manche haben ihre Kampfpanzereinheiten sogar weitgehend bis völlig abgeschafft: etwa Ungarn (32, dazu 130 in Reserve, aber abnehmend), Belgien und die Niederlande (je 0).

Rückkehr der Abrams nach Grafenwöhr
Rückkehr der Abrams nach GrafenwöhrStars and Stripes

Die USA indes haben im wesentlichen etwa 6300 Abrams-Tanks, viele davon eingemottet. Aus Europa (primär aus Deutschland) wurden die einst starken US-Panzerdivisionen nach Ende des Kalten Kriegs indes abgezogen, im Frühjahr 2013 wurden die letzten Abrams über den Atlantik verschifft. Diesen Februar aber kamen 29 Stück zurück: Sie dienen für Ausbildung und Manöver auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr in der Oberpfalz.

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