Reicht eine Regierungsumbildung, um den Volkszorn zu besänftigen? Der sozialistische Staatspräsident François Hollande hat den bisherigen Innenminister Manuel Valls mit der Neubildung beauftragt.
Paris. Gestern Nachmittag gab Premierminister Jean-Marc Ayrault seinen Rücktritt bekannt. Er machte damit den Weg frei für eine Regierungsumbildung. Noch am Abend trat dann Staatspräsident François Hollande vor die Fernsehkameras, um zur schweren Niederlage bei den landesweiten Kommunalwahlen Stellung zu nehmen.
Der ungeliebte Präsident akzeptierte Ayraults Rücktritt und beauftragte den bisherigen Innenminister Manuel Valls mit der Bildung eines neuen Kabinetts. Die Ernennung des 51-jährigen Valls ist alles andere als eine Überraschung. Er galt klar als Favorit, denn er ist populär und ein guter Kommunikator.
Mit seiner Sicherheitspolitik kommt er auch in bürgerlichen Kreise gut an, besser jedenfalls als auf dem linken Flügel der Sozialisten und bei den Grünen, die aus seiner Nominierung einen „casus belli" in der rot-grünen Koalition sehen könnten. Die bisherige grüne Wohnungsministerin Cécile Duflot hatte bereits angekündigt, in einer Regierung Valls werde sie nicht mitmachen wollen. Das vermittelt nur einen kleinen Eindruck von den Spannungen und Schwierigkeiten, die mit der Regierungumbildung verbunden sind.
Hollande stellt klare Erwartungen an das neue Regierungsteam. Es müsse effzienter arbeiten und die Ziele der Politik besser erklären. Oberstes Kriterium der Reformen und der Opfer, die dabei von den Bürgern verlangt werden, müsse weiterhin die soziale Gerechtigkeit sein. Der Kampf um die Zuversicht und das Vertrauen der Bürger lässt sich im zutiefst desillusionierten Frankreich freilich selbst mit einer ehrlich betroffen klingenden Ansprache nicht so leicht gewinnen.
Eigentlich wollte Hollande noch in den vergangenen Tagen trotz der absehbaren Niederlage an Ayrault als der Spitze einer Regierung festhalten, die lediglich etwas verkleinert werden sollte. Nun haben aber die Verluste auf kommunaler Ebene ein solches Ausmaß erreicht, dass solche Retuschen kaum genügen.
Montag früh begannen hinter den Kulissen eifrige Verhandlungen. Hollande spielte mit seinen Beratern im Elysée-Palast alle mögliche Casting-Varianten durch. An potenziellen Anwärtern für Ministerien und den Chefposten in der Regierung mangelte es nicht. Doch in diesem Fall ging es darum, keine Zeit zu verlieren und mit einem Signal für einen Neubeginn die verheerende Wahlniederlage zu den Akten zu legen.
Sündenbock für den Staatschef
Für Ayrault bedeutet der Rücktritt dennoch ein schweres Opfer. Schon am Sonntagabend wusste er, dass seine Tage an der Spitze der Linksregierung in Paris wohl gezählt waren. Er wollte angeblich schon am späteren Abend, als er bei einer Ansprache die Niederlage der Sozialisten eingestehen musste, seine Demission einreichen. Nur seine Berater hielten ihn zurück. Der Regierungschef ist im präsidialen System Frankreichs immer der designierte Sündenbock für den Staatschef, der laut der Verfassung für die Politik vor dem Parlament nicht verantwortlich ist.
Freilich würde nichts den Präsidenten daran hindern, in einer solchen Situation, die einer persönlichen Desavouierung gleichkommt, zurückzutreten oder mit der Auflösung der Nationalversammlung den Weg zu Neuwahlen zu öffnen. Das aber käme einem politischen Eigentor gleich.
Die Sozialisten blicken bereits besorgt auf den nächsten Urnengang: Bei den Europawahl Ende Mai drohen der Regierungspartei noch stärkere Verluste als bei der Kommunalwahl vom Sonntag. Mit einem Triumph können hingegen erneut Euroskeptiker rechnen wie der Front National um ihre Führerin Marine Le Pen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2014)