Chinas neue Langstrecken-Atomraketen für U-Boote noch heuer einsatzbereit

Zwei Boote der Jin-Klasse
Zwei Boote der Jin-KlasseSistemi di Difesa Internazionali
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Die "Große-Welle-2"-Raketen können mit 8000-12.000 km Reichweite von Chinas Gewässern aus Ziele in Europa und den USA erreichen. China habe erstmals eine "echte" atomare Abschreckung zu See, so ein US-Admiral.

China dürfte seinen Atommacht-Status demnächst so richtig in Stein meißeln: Der Oberkommandierende der US-Streitkräfte im Pazifischen Raum, Admiral Samuel Locklear, sagte vor kurzem vor dem US-Senat, dass China noch heuer seine strategischen U-Boote erstmals durchgehend mit den neuen, weitreichenden JL-2 Atomraketen bestücken und einsatzbereit machen werde.

"Glaubhafte seegestützte Abschreckung"

Mit den neuen Raketen, die Reichweiten von 8000 bis 12.000, möglicherweise 14.000 Kilometer haben sollen, könnten schon von den chinesischen Heimatgewässern aus große Teile des Erdballs abgedeckt werden, darunter Ziele in Nordamerika, Europa, sowie in ganz Russland.

Admiral Sam Locklear, USN
Admiral Sam Locklear, USNReuters

"Chinas Fortschritt bei U-Boot-Kapazitäten ist bedeutend", sagte Locklear (*1954 im US-Staat Georgia). "Ich glaube, die Chinesen werden im kommenden Jahrzehnt eine ziemlich moderne Flotte von insgesamt 60 bis 70 U-Booten haben, was ziemlich viel für eine Regionalmacht ist." Und, so der Admiral: "Die neuen ballistischen Raketen werden wohl bis Jahresende operativ sein. Das gibt China erstmals eine glaubwürdige, seegestützte nukleare Abschreckung."

Die seit den 1990ern entwickelte JL-2 (JL steht für "Ju Lang", das bedeutet "Große Welle") ist die modernste seegestützte ballistische Atomrakete (SLBM) der Chinesen. Die Geschosse von je etwa 13 Meter Länge bei zweieinviertel Meter Durchmesser sollen auf die erwähnten Distanzen einen Streukreisradius von nur 40 bis 80 Meter haben - gemeint ist damit, dass innerhalb eines solchen Kreises statistisch gesehen 50 Prozent der abgefeuerten Raketen einschlagen - auf diese Weise drückt man die Zielgenauigkeit aus.

JL-1 und JL-2 Skizze
JL-1 und JL-2 SkizzeTosaka/wikipedia

Nachdem Chinas Militär bei seinen Atomwaffen naturgemäß noch heimlichtuerisch ist als sonst, ist indes unklar, ob die JL-2 auch mehrere Gefechtsköpfe gleichzeitig befördern und hoch über dem Zielgebiet ausklinken kann, damit diese jeweils eigene Ziele selbstständig ansteuern - man nennt das "MIRV"-Fähigkeit (Multiple independently targetable reentry vehicle), was bei westlichen und russischen Atomwaffen mittlerweile normal ist. Die Experten beim Militärfachmagazin Jane's Defence in London nehmen an, die JL-2 könne je nach Variante drei bis zehn MIRVs mit einer Explosionskraft von je 90 Kilotonnen TNT-Äquivalent befördern, oder eine einzelne Bombe mit bis zu einer Megatonne Sprengkaft.

Testschuss einer JL-2
Testschuss einer JL-2CCTV 7

In der US-Geheimdienstcommunity glaubt man eher an die Ein-Sprengkopf-Variante, weil China zuvor noch nie eine MIRV-SLBM gebaut hatte - allerdings könnte es diesmal eben doch anders sein.

Entwicklung lange verzögert

Die Entwicklung der etwa 23 Tonnen schweren JL-2 (der Nato-Code dafür ist CSS-NX-4) hatte sich immer wieder verzögert, sie hätte schon vor 2010 operationell sein sollen. Ihre Vorgängerin JL-1 (CSS-N-3) war in den 1970ern entwickelt worden, sie ist kleiner und hat einen einzelnen Sprengkopf von 200 bis 300 Kilotonnen Explosionskraft bei Reichweiten von nur um die 2500 km.

Mit der JL-1 wurde Ende der 1980er-Jahre die "Xia" bestückt, das erste nuklear betriebene strategische U-Boot Chinas. Das Schiff mit 120 Meter Länge und einer Verdrängung (getaucht) von etwa 7000 Tonnen hat zwölf Raketenabschussröhren, wurde 1981 fertiggestellt und 1987 operationell. Es hätte sich im Ernstfall gegnerischen Zielen, etwa in den USA, doch deutlich nähern müssen, um seine Raketen starten zu können.

Möglicherweise wurde ein zweites Boot der Xia-Klasse gebaut, man weiß es nicht genau, wenn, dann könnte es verunfallt sein, weil bisher wurde nur eines erkannt, und die Chinesen zeigten im April 2009 bei einer Flottenparade auch nur eines dieser Boote, das auch als "Typ 092" firmiert, her; es war übrigens der erste derartige Auftritt.

Derzeit vier strategische Atom-U-Boote

Die Nachfolgeboote der "Jin"-Klasse (Typ 094) wurden in den 1990ern entwickelt und ab Juli 2004 fertiggestellt. Sie sind größer (11.000 Tonnen Verdrängung unter Wasser bei 133 Meter Länge, Besatzung etwa 100 Mann) und für zwölf bis 16 Raketen ausgelegt. Die ersten dürften ab 2008/10 operativ geworden sein, entweder noch ohne Atomwaffen oder mit den alten JL-1 in den Schächten.

Drei Boote der Jin-Klasse sind sicher bekannt, ein viertes ist in Bau oder kürzlich fertig geworden, ein oder zwei könnten folgen (zudem baut China an einer noch moderneren Serie, der "Tang"-Klasse, Typ 096). Auch hier dürfte China westlichen Schätzungen zufolge mit dem Bau deutlich in Verzug gewesen sein. Es sind jedenfalls die Boote der Jin-Klasse, die noch heuer laut Admiral Locklear vollbestückt mit ihren Fahrten beginnen sollen - vermutlich auch weit außerhalb der Hoheitsgewässer Chinas, wie es andere Atommächte vormachen.

Jin-Klasse, andere Ansicht
Jin-Klasse, andere Ansichtglobalmilitaryreview.com

Insgesamt hat China damit aktuell laut Jane's Defence vier aktive strategische U-Boote (Xia plus drei Jins), fünf nuklear betriebene Jagd-U-Boote (manche Quellen zählen acht) und 53 dieselelektrische U-Boote, also - konservativ gezählt - etwa 62 Boote aller Klassen. Zum Vergleich: Die USA betreiben insgesamt etwa 70 U-Boote, Russland um die 50 (so genau weiß man das nicht, in den dortigen Häfen liegen auch einige nicht mehr fahrtaugliche), kleinere Mächte wie Frankreich, Großbritannien und Japan haben je zehn, elf bzw. 16 U-Boote aller Klassen.

Nukleare Platzhirsche USA und Russland

Bei U-Boot-gestützten ballistischen und strategischen Atomwaffen (SLBM) sind freilich speziell die USA und Russland noch weit vor der kommenden asiatischen Supermacht: Die US-Navy betreibt aktuell 14 Boote der Ohio-Klasse mit je 24 Trident-II-Raketen von je 12.000 km Reichweite und je maximal zwölf MIRVs im Bereich von 300 bis 475 Kilotonnen Sprengkraft. Da zu jeder Zeit etwa zwei bis vier Ohios im Trockendock liegen, sind also stets etwa 240-288 SLBMs irgendwo in den Weltmeeren. In Folge aktueller Abrüstungsverträge soll die SLBM-Zahl bis 2018 auf 240 reduziert bzw. eingefroren werden.

Die USS Maine, ein Boot der Ohio-Klasse
Die USS Maine, ein Boot der Ohio-KlasseUS Navy

Russland wiederum hat 13 strategische Atom-U-Boote, von denen aber einige beschädigt sind oder zu Testzwecken dienen. Aktiv sind bestenfalls elf Boote, aktuelle Zahlen gehen von sieben Stück mehrerer Klassen (Delta III, Delta IV, Borei) mit gesamt 112 Raketen und  416 Atomsprengköpfen aus.

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