Nikolić: „Moskau nutzt den Präzedenzfall Kosovo“

SERBISCHER PRÄSIDENT NIKOLIC IN OeSTERREICH: NIKOLIC
SERBISCHER PRÄSIDENT NIKOLIC IN OeSTERREICH: NIKOLIC(c) APA/BUNDESHEER/CARINA KARLOVITS
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Der serbische Präsident Nikolić über die Krim-Krise, Verbrechen im Kosovo und die Zukunft der Gespräche zwischen Belgrad und Prishtina.

Die Presse: Wird Serbien den Anschluss der Krim an Russland anerkennen?

Tomislav Nikolić: Serbien hat sowohl zur EU als auch zu Russland sehr gute Beziehungen. Serbien kann ohne die EU nicht auskommen, und wir machen alle Anstrengungen, EU-Mitglied zu werden. Aber Serbien kann auch ohne Russland nicht auskommen: Der große Markt, den Russland bietet, ist von großer Bedeutung. Wir werden uns in die Politik der Großen nicht einmischen und setzen uns für die Achtung des Völkerrechts und für gleiche Regeln für alle ein.

Russland hat bei der Eingliederung der Krim auch mit dem angeblichen Präzedenzfall Kosovo argumentiert. Bisher hat Moskau die Unabhängigkeit des Kosovo aber nicht anerkannt. Haben Sie Sorge, dass Russland – in logischer Folge davon – doch den Kosovo anerkennen müsste?

Nein. Das wird niemals geschehen. Aber warum drehen Sie das Ganze nicht um? Warum schauen Sie sich das nicht von der EU-Seite an? Die EU erkennt die Loslösung der Krim von der Ukraine nicht an, aber die meisten EU-Staaten erkennen die Eigenstaatlichkeit des Kosovo an. Wir werden nun Zeuge immer weiterer separatistischer Bestrebungen, auch in Europa. Und Russland nutzt den Präzedenzfall Kosovo und erkennt eben den Kosovo nicht an, aber die Abspaltung der Krim sehr wohl.

Im Unterschied zur Krim wurde der Kosovo aber nicht an einen anderen Staat angeschlossen. Und es gab im Kosovo schwere Menschenrechtsverletzungen durch serbische Truppen.

Wenn Sie eine Entscheidung rechtfertigen wollen, können Sie immer Argumente dafür finden. Europäische Staaten haben entgegen dem Völkerrecht 1999 mit den USA Serbien bombardiert. Die Verletzung der Menschenrechte ist kein Casus Belli gegenüber dem, was schon als Grundlage der modernen Zivilisation festgelegt wurde. Zugleich wurden hunderttausende Serben durch die Albaner vertrieben und getötet. Alle serbischen Kriegsverbrechen, die geschehen sind, kommen nicht dem nahe, was an einem Tag 2004 im Kosovo passiert ist und was die Albaner damals den Serben angetan haben. Würde jemand das Zentrum Wiens in Flammen setzen, würde ich sagen, die Weltkultur wurde niedergebrannt. Das ist im Kosovo mit der Zerstörung mittelalterlicher serbischer Klöster und Kirchen geschehen.

Sie sagen, es habe derartige serbische Verbrechen nicht gegeben: Aber im Kosovo wurden doch Moscheen niedergebrannt, und zigtausende Menschen wurden von serbischen Truppen vertrieben.

Das waren alles Ausreden für eine Intervention. Es gibt einen Bericht von Dick Marty darüber, dass Serben durch Albaner misshandelt und ihre Körperorgane in vivo entnommen wurden und später damit gehandelt wurde. Das alles wurde irgendwie vertuscht. Diese Geschichten über die Lager voller vertriebener Albaner dienten dazu, die Serben als Böse darzustellen. Man kreiert solche Geschichten – etwa , dass in Račak albanische Zivilisten umgebracht worden seien – und bombardiert Serbien. Die Unesco verfügt über einen Bericht über das serbische Kulturerbe, das im Kosovo zerstört worden ist. Ich würde Sie bitten, von der Unesco einen Bericht über das zerstörte Kulturerbe der Albaner zu verlangen.

Ich habe als Reporter 1999 die zerstörten Moscheen im Kosovo gesehen und in den Flüchtlingslagern mit Kosovo-Albanern gesprochen, die vertrieben worden sind. Das sind doch nicht einfach nur erfundene Geschichten.

Wie hätte das wohl ausgesehen, hätten wir große Flüchtlingslager für die Serben gemacht, die aus Kroatien und Kosovo geflohen sind? Aus Kosovo und Metochien wurden 200.000Serben vertrieben. Vermisst werden 1300Serben, von denen es noch heute keine Spur gibt. Ich möchte keine Kriegsverbrechen rechtfertigen, auch nicht die der serbischen Seite. Die Verantwortlichen für serbische Kriegsverbrechen wurden in Den Haag vor Gericht gestellt, und viele wurden verurteilt. Die angeklagten Kosovo-Albaner wurden aber freigesprochen, nur damit die Serben immer die Schuldigen sind.

Es gab zuletzt Verhandlungen zwischen den Regierungschefs Serbiens und des Kosovo. Jetzt hat Ihre Partei, SNS, die Wahlen in Serbien gewonnen. Wird sich nach der Bildung einer neuen Regierung etwas an der Art dieser Gespräche verändern?

Nein, gar nichts. Denn bereits nachdem ich Präsident geworden bin, haben wir gesagt, dass wir in Gespräche mit den Kosovo-Albanern einsteigen werden. Wir haben unseren Diplomaten erlaubt, an Konferenzen teilzunehmen, bei denen auch Kosovo-Albaner eingeladen sind. Wir sind bereit, dem Kosovo eine weitreichende Autonomie zu geben – aber nicht mehr. Die Unabhängigkeit des Kosovo können wir nicht anerkennen – ungeachtet aller Folgen. Auch viele UN-Mitgliedstaaten haben diese Unabhängigkeit nicht anerkannt.

Spätestens beim EU-Beitritt Serbiens könnte die Uneinigkeit über den Status des Kosovo aber zum Problem werden: wenn es dann darum geht, mit welchem Territorium Serbien der EU beitritt.

Das hängt einzig von der EU ab. Würde die EU bestimmen, Serbien ohne Kosovo aufzunehmen, würde das bedeuten, dass sie Serbien gar nicht haben will. Und sie würde dann sagen: Wir nehmen Serbien auf, aber nicht in der Form, in der das Land Mitglied in der UNO ist.

Österreich hat sich sehr dafür eingesetzt, dass Serbien den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhält. Was erwarten Sie von Österreich jetzt?

Ich gehe davon aus, dass Österreich unseren EU-Beitritt weiter unterstützen wird. Denn unsere Geschichte ist eng verflochten. Wir haben uns nicht nur kriegerische Auseinandersetzungen geliefert, Österreich war auch ein wichtiger Standort, an dem bedeutende Serben gelebt haben. Die Anerkennung des Kosovo durch Österreich hat unsere Beziehungen nicht getrübt. Wir möchten die bilateralen Beziehungen mit Österreich in allen Bereichen fördern. Eine riesige Anzahl von Serben lebt und arbeitet in Österreich, und sie sind eine Brücke, die uns auf die bestmögliche Art verbindet.

Zur Person

Tomislav Nikolić war Vizechef der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei und gehörte während des Kosovo-Krieges der Regierung des serbischen Machthabers Milošević an. 2008 gründete Nikolić die Serbische Fortschrittspartei SNS, die sich moderater als die Radikalen gibt. Seit 2012 ist er Präsident Serbiens.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2014)

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