Gaskonflikt: Kreml als Geburtshelfer

File photo showing a gas pipe at an underground gas storage facility in the village of Mryn
File photo showing a gas pipe at an underground gas storage facility in the village of MrynREUTERS
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Der Gaskonflikt zwischen Russland und der Ukraine führt zu neuen Lieferströmen. Gazprom nützt das Druckmittel für die South-Stream-Pläne.

Manche Antwort auf die Frage, wie der Kreml und sein Gaskonzern Gazprom so ticken, könnte der in Wien festgesetzte ukrainische Oligarch Dmitro Firtasch geben. Und auch seine Erzrivalin, Julia Timoschenko, die Präsidentin werden will. Kaum jemand hat so viel mit Gazprom zu tun gehabt, wie die beiden. Timoschenko war es auch, die 2009 den Knebelvertrag unterzeichnet hat, der für die Ukraine 485 Dollar je 1000 Kubikmeter ergibt. Bedenkt man, dass Russlands Hauptkunde Deutschland 382 Dollar zahlt, worin noch 90 Dollar für den Transport von der russisch-ukrainischen Grenze enthalten sind, zeigt sich: Die Ukraine zahlt um 66 Prozent mehr als Deutschland, womit klar wird, was Ukraines Energieminister Juri Prodan meint, wenn er sagt, man strebe „faire Preise wie die für Westeuropa an“.

Das Problem, dass Russland nun alle zwischenzeitlichen Rabatte für die Ukraine aufgehoben hat und wieder 485 Dollar verlangt, wurzelt also im Jahr 2009. Wenn Gazprom nun, wie Gazprom-Chef Alexej Miller sagte, die Kompensierung der zwischenzeitlich gewährten Rabatte im Wert von angeblich 11,4 Milliarden Dollar fordert, markiert das nur den Gipfel eines Wirtschaftskriegs der Staaten. Die Ukraine überlegt laut Prodan, das Schiedsgericht in Stockholm anzurufen.

Für Gerichte zeichnet sich eine Hochsaison ab, zumal Russland Gasaktiva auf und vor der Krim aus ukrainischem Staatsbesitz gestohlen hat. „Ein ganzer Klumpen an Fragen“, sagt Michael Gontschar, Gasexperte des ukrainischen Forschungszentrums Nomos.

Selbst wenn der Gaskonflikt jetzt wie 2006 und 2009 wieder eskaliert und es zu Lieferengpässen kommt: Wegen der warmen Jahreszeit werden sie nicht spürbar sein. Aber die Zuspitzung „beschleunigt die tektonischen Veränderungen auf dem europäischen Gasmarkt“, so Gontschar. Einmal abgesehen von Westeuropa, das seine Bezugsquellen stärker diversifizieren will.

In Osteuropa steht ein ganzes Gefüge von Pipelines, Abhängigkeiten und Lieferrouten auf dem Prüfstand. Gazprom sieht den Konflikt als Druckmittel, um von der EU die Genehmigung für den Bau der Pipeline South Stream (zur Umgehung der Ukraine) und ihre ausschließliche Nutzung durch Gazprom zu erhalten. Schon durch den Start der Ostsee-Pipeline Nord-Stream hat Gazprom den Transit durch die Ukraine in den Westen um ein Drittel reduziert. Deshalb müssen auch die unterirdischen Speicher in der Westukraine, die ab April gefüllt werden, um in einem strengen Winter den Mehrbedarf zu stillen, um ein Viertel weniger gefüllt werden. Mit dazu trägt auch bei, dass die Ukraine ihren Gasverbrauch konjunkturbedingt und durch Substitution mit Kohle um ein Viertel reduziert hat.

Der Ausbau der eigenen Förderung in der Ukraine geht zwar nur schleppend voran. Größere Hoffnung liegt darin, dass das Land über den umgedrehten Gasstrom Gas aus dem Westen erhält. Den Mechanismus hat Tschechien ausgearbeitet, um 2009 während des Gaskonflikts die Slowakei zu versorgen, nachdem Österreich sich geweigert hat. Gas aus dem Revers ist zwar auch russisches Gas, aber billiger. Es könnte aus Polen und Ungarn kommen. Der größte Brocken – schon heuer zehn Mrd. Kubikmeter - aber aus der Slowakei. Allein, die Slowakei ziert sich jetzt. Grund: Gazprom hat ihr einen billigeren Gaspreis zugesichert.

fakten

125
Mrd. Kubikmeter Gas lieferte Russland noch vor wenigen Jahren durch die Ukraine nach Europa.

86
Mrd. Kubikmeter waren es im Vorjahr.

24
Mrd. Kubikmeter mussten früher in den westukrainischen Speichern für strenge Winter lagern.

18
Mrd. Kubikmeter reichen heute aus.

70
Mrd. Kubikmeter Gas verbrauchte die Ukraine vor einigen Jahren.

50–55
Mrd. Kubikmeter verbraucht sie jetzt.

27
Mrd. Kubikmeter Gas bezieht die Ukraine aus Russland.

10–20
Mrd. Kubikmeter könnte sie künftig aus der Slowakei beziehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2014)

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