Ukraine: Ost und West im Stellungskrieg

Russland, Ukraine
Russland, Ukraine(c) REUTERS (GLEB GARANICH)
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Russland droht Europa mit einem Gaslieferstopp, der Westen erwägt neue Sanktionen. Bewegung könnte es nächste Woche bei internationalen Gesprächen in Genf geben.

Wien/Kiew/Moskau. Horizontfüllende Felder, kilometerlange Steppenbrachen, kerzengerade Baumalleen: In der Weite der Ostukraine verschwimmen normalerweise leicht die Grenzen. Nicht so in diesen Wochen. Ausgerechnet hier ist die schärfste Konfrontation zwischen Ost und West seit dem Ende des Kalten Kriegs zum Stehen gekommen. Es geht um die Zukunft der Ukraine als eines souveränen Landes, um das Ausmaß des Einflusses Russlands, letztlich um das politische und wirtschaftliche Überleben der Ukraine.

In diesem rhetorischen Stellungskrieg zwischen Ost und West scheint sich die Macht der Worte langsam abzunützen: Seit Tagen spricht die Nato von einem Truppenaufbau an der langen ostukrainischen Grenze. Seit Tagen orakelt Russland, die Nato wünsche sich einen Interventionsgrund herbei.

Lieferengpässe für Europa?

Nun lässt die Nato die Macht der Bilder sprechen: Satellitenaufnahmen dokumentieren den Truppenaufmarsch im Westen Russlands. Nato-Chef Anders Fogh Rasmussen sprach von 40.000 Soldaten, die an der ukrainischen Grenze stationiert wurden – „bereit für den Kampf“. US-Präsident Obama und die deutsche Kanzlerin Merkel riefen Russland zum Rückzug auf. Obama drohte mit weiteren Sanktionen durch USA und EU.

Russlands Präsident Wladimir Putin brachte indes die heikle Energiefrage auf: Er informierte 18 europäische Staatsoberhäupter, darunter Bundespräsident Heinz Fischer, über mögliche Gasengpässe für Europa. In dem Brief, der der „Presse“ vorliegt (s. S. 4), kündigt Putin an, nur noch gegen Vorauskasse an Kiew zu liefern. Wenn die Ukraine nicht zahle, müsse Russland das Gas ganz oder teilweise abdrehen.

Der ukrainische Energieminister Prodan erklärte im Interview mit der „Presse“, Russland habe seine Ansprüche noch nicht offiziell mitgeteilt. Doch er befürchtet Schlimmstes. „Wir steuern auf eine Abschaltung der Gaslieferungen aus Russland zu.“

Moskau dürfte das militärische Bedrohungsszenario an der ukrainischen Ostgrenze weiter aufrechterhalten. Es will sich vor den für nächsten Donnerstag geplanten Vierergesprächen (Russland, Ukraine, USA, EU) in Genf mit dem nötigen Verhandlungsgewicht ausstatten. Übrigens: Wien als Verhandlungsort wurde von den Russen wegen der EU-Mitgliedschaft Österreichs abgelehnt.

Als Verhandlungspartner wünscht sich Russland auch Abgesandte aus der Ostukraine. Das lehnt der Westen ab. Moskaus Vision für die Ukraine: mehr Macht den Regionen, kein Nato-Beitritt. Die Föderalisierung à la russe zielt auf den Süden und Osten: Dort sollen durch die stärkere Regionalisierung lokale Eliten ans Ruder kommen, die Russland wohlgesinnt sind. Kiew wäre so zumindest partiell ausgeschaltet. Magnaten wie dem Donezker Multimillionär Rinat Achmetow könnte ein solcher Ausgleich gefallen.

Die Optionen der Ukraine für einen Befreiungsschlag werden jeden Tag geringer. Dass man sich dessen bewusst wird, darauf deutet ein Dialogangebot an die prorussischen Besetzer in Lugansk und Donezk von Übergangspremier Arsenij Jazenjuk. Jazenjuk kündigte gestern ein Gesetz über regionale Volksabstimmungen an, die bisher nicht gestattet waren. Eine Arbeitsgruppe soll das Dokument formulieren. Auch wolle man die präsidialen Vollmachten der Einsetzung von Gouverneuren aufheben.

Jazenjuks Vorschlag ist ein Versuch, Zeit zu gewinnen. Denn das Ultimatum der Regierung an die Besetzer lief am Freitag ab. Eine gewaltsame Räumung könnte das Land in eine noch bedrohlichere Situation bringen: Dann könnte sich die russische Kolonne wirklich in Bewegung setzen. Die Städte Lugansk und Donezk liegen nur ein paar Dutzend Kilometer hinter der Grenze.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2014)

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