Ostukraine: Die Sowjet-Nostalgiker proben den Aufstand

Pro-Russian protesters attend a rally in front of the seized office of the SBU state security service in Luhansk
Pro-Russian protesters attend a rally in front of the seized office of the SBU state security service in Luhansk(c) REUTERS (SHAMIL ZHUMATOV)
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Nur wenige hundert Menschen zählen im Donbass zu den pro-russischen Aktivisten. Der Paternalismus der Sowjet-Ära ist immer noch prägend.

Donezk. Mit ihren schicken Luxusboutiquen wirkt die Artem-Straße von Donezk wie eine ukrainische Spielart der Champs-Élysées. Trotz der politischen Wirren läuft hier alles seinen normalen Gang. Erst bei näherem Hinsehen fällt auf, dass offensichtliche Schwarzplakatierer zahlreiche Werbeflächen mit großformatigen Wappen einer „Donezker Republik“ zugepflastert haben.

Pro-russische Aktivisten haben vorige Woche diesen „Staat“ ausgerufen, nachdem sie zuvor in einer neuen Protestwelle die Regionalverwaltung, die selbst nur wenige hundert Meter von der Luxusmeile entfernt ist, gestürmt hatten. An den Barrikaden vor diesem Gebäude, das vermummte Männer mit Schlagstöcken bewachen, werden seither Reden gegen die Regierung in Kiew geschwungen. Montagnachmittag beschäftigte man sich mit dem ukrainischen Dreizack, der nach wie vor am Haus prangt. Leider könne die massive Konstruktion nur von Kletterern mit schwerem Gerät entfernt werden, beklagte eine Sprecherin. Unklar blieb, ob die Demonstranten das ukrainische Staatssymbol mit einer russischen oder einer Flagge der „Donezker Republik“ überdeckt haben wollten.

Montagnachmittag waren es lediglich 200 bis 300 Menschen, die sich hier versammelt hatten, und diese geringe Anzahl verdeutlicht gleichzeitig eines der maßgeblichen Spezifika der Region: Die Donbass-Bevölkerung zeichnet sich durch eine hochgradige politische Passivität aus. Denn trotz einer unverkennbaren Stimmungslage haben pro-russische Kräfte ein großes Mobilisierungsproblem. Selbst an Sonntagen schafften sie es zuletzt nie, mehr als 5000 Menschen in der Millionenstadt Donezk auf die Straße zu bringen. Ähnliches gilt für die andere politische Seite: Das einzige regelmäßige pro-ukrainische Demonstrationsformat, ein allabendliches Gebet für die Einheit des Landes, zog zuletzt nicht mehr als 60 Personen an.

Dies hat damit zu tun, dass sich auch nach dem Ende der Sowjetunion ein hochgradig paternalistisches System erhalten hat, begünstigt von einer großindustriellen wie rohstofforientierten Wirtschaftsstruktur. In den großen Metallfabriken und Kohlegruben der Region war und blieb der Arbeiter stets in einem deutlichen Abhängigkeitsverhältnis. In weniger industriellen und bisweilen auch ärmlicheren Teilen der Ukraine spielten hingegen seit der Wende kleinere unternehmerische Strukturen und Eigeninitiative – etwa in Form von Arbeitsmigration – eine deutlich größere Rolle.

(C) DiePresse

Janukowitsch und seine Clique

Die Methoden der lokalen Machthaber, die mit fragwürdigen Privatisierungen zu sagenhaftem Reichtum gekommen waren und „ihre“ Metropole Donezk nach neurussischem Geschmack adaptierten, erwiesen sich lange als äußerst effizient. Nachdem die kommunistische Partei der Ukraine, die traditionell eine wichtige Rolle gespielt hatte, ins politische Abseits befördert worden war, übernahm die Partei der Regionen schließlich die Kontrolle über die gesamte Ukraine. Präsident Viktor Janukowitsch und seine Donezker bemühten sich dabei redlich, eine Entfremdung zwischen ihrer Heimatregion und dem Rest der Ukraine zu forcieren.

Einerseits wurde den Bewohnern des Donbass, die sich nicht unbegründet als fleißige Arbeiter sehen, beständig eingebläut, dass sie mit ihrer harten Arbeit den Rest der Ukraine ernähren. Andererseits führte jene Korruptionswelle der vergangenen Jahre, mit der die regierenden Donezker unter Janukowitsch in Verbindung gebracht wurden, immer wieder zu unfairen Verunglimpfungen. Wiederholt wurden sie als Menschen zweiter Klasse dargestellt. Diese Beleidigungen haben auch sichtliche Spuren hinterlassen.

Fest steht, dass die Mächtigen des Donbass in den 23 Jahren seit der Unabhängigkeit in erster Linie am eigenen Reichtum interessiert waren. Soziale Probleme blieben ungelöst, und gerade in kleineren und trostlos wirkenden Städten wuchs eine Generation schlecht gebildeter Menschen heran. In den Kleinstädten um Donezk avancierten jene Männer zuletzt zu Hauptakteuren. Hinzu kommt jene breite Schicht Sowjet-Nostalgiker, insbesondere der älteren Generation, der man mit TV-Horrormeldungen von mordlüsternen westukrainischen Nationalisten tatsächlich Angst einjagen konnte – verstärkt durch die Sorge um die Pensionen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2014)

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