„Attacken auf Reporter werden kaum untersucht“

Dunja Mijatović
Dunja Mijatović(C) OSZE
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Die OSZE-Kommissarin für Medienfreiheit, Dunja Mijatović, glaubt nicht an die große Macht der Medien – etwa bei der Annexion der Krim.

Die Presse: Sie sind derzeit in Charkiw, Ostukraine, und haben mit Journalisten gesprochen. Was wurde Ihnen erzählt?

Dunja Mijatović: Journalisten arbeiten unter widrigsten Umständen, ihr Leben ist in Gefahr, und ständig wird ihre Ausrüstung zerstört. Gleichzeitig wird ihnen aber der Zugang zu Informationen verwehrt. Viele Journalisten polarisieren auch und zeigen wenig Solidarität untereinander. Insgesamt sieht es so aus, als ob Journalisten zu den Hauptzielen von Demonstranten zählen. Die Polizei reagiert kaum. Man hat das Gefühl, dass die Attacken gegenüber Reportern nicht wirklich untersucht werden.

Vor und während der Annexion der Krim haben Sie ähnliche Zustände beschrieben.

Allein im Februar wurden innerhalb weniger Tage 40 Journalisten angegriffen. Wir haben damals auch die Frage der Zensur erörtert: In weniger als einer Woche wurden alle ukrainischen Sender auf der Krim auf russische Sender umgestellt. Quasi über Nacht, ohne rechtliche Basis.

Heißt das auch, dass die Medien samt Inhalt nun komplett von Russland gesteuert und gefüllt werden?

Ich würde das nicht sagen, dazu müsste man auch den Inhalt analysieren. Natürlich hören wir die Berichte über Propaganda. Es ist doch so: Manchmal hören wir Stimmen und Ansichten, die uns nicht gefallen, aber das heißt nicht, dass diese Stimmen und Ansichten kontrolliert sind. Was ich aber beobachten kann, ist, dass Medien als ein Werkzeug benutzt werden, um politische Ziele zu erreichen.

Inwieweit haben die Medien während der Annexion der Krim auch eine Verantwortung zu tragen? Hat etwa die russische Berichterstattung im Vorfeld des Krim-Referendums die Annexion beschleunigt?

Ich würde den Medien nicht so viel Macht zuschreiben. Das ist das Einfachste, was man machen kann, nämlich zu sagen: Die Medien sind schuld. Auf der Krim waren auch alternative sowie internationale Stimmen und Berichte zu hören. Natürlich wurden die russischen Sender eingeführt, aber das allein beeinflusst nicht die Meinung aller Leute. Es wäre dasselbe, wenn wir sagten: Die Menschen dort sind dumm, sie können sich keine eigene Meinung bilden.

Die Frage ist aber: Hätte es die prorussische Berichterstattung nicht gegeben, wie wäre das Ergebnis ausgefallen?

Es war ein Referendum, das in rund zwei Wochen organisiert und durchgeführt wurde. Welche intensive Art der Berichterstattung kann man sich innerhalb dieser Zeit schon erwarten? Natürlich haben die Medien eine Rolle gespielt, aber die Menschen treffen Entscheidungen aufgrund ihrer eigenen Meinung.

In vielen Ländern, so auch in der Ukraine oder in der Türkei, hat man den Eindruck, dass Medien ihre Unabhängigkeit verlieren, um das Organ einer Partei oder einer Gruppe zu werden. Die Berichterstattung wird wieder schwarz-weiß. Und die Rolle des kritischen Lesers übernimmt der Social-Media-Nutzer.

Diese These wird derzeit auch auf akademischem Niveau intensiv diskutiert. Tatsächlich taucht jeden Tag etwas Neues auf, so machen westliche Demokratien mit einer langen Tradition an Rede- und Medienfreiheit Schritte in die falsche Richtung.

Zum Beispiel?

In den USA wurden Journalisten von Associated Press beobachtet und abgehört. Viele Regierungen beziehen sich zudem auf den Kampf gegen Terrorismus, um die Medienfreiheit zu drosseln. Und wir haben Ungarn, ein besonders brutaler Fall, was die Repression von Medien betrifft. Aber dank sozialer Medien haben wir jetzt ein aktives Publikum, etwa Blogger. Ich nenne sie die „Bürger, die berichten“. Schauen Sie sich die Türkei an: Ganz offensichtlich wird dort zensuriert, aber die türkische Gesellschaft kann ihre Meinung über die sozialen Medien trotzdem artikulieren. Premier Erdoğan sollte eigentlich stolz auf seine Nation sein. Die Menschen sind sehr aktiv und couragiert, sie zeigen, dass die Türkei eine moderne Gesellschaft ist.

Die Türkei ist auch ein besonderer Fall, gerade dort sitzen enorm viele Journalisten im Gefängnis.

Ich bin mit den Behörden dort ständig in Kontakt. Ich habe eine Datenbank erstellen lassen, in der jeder türkische Journalist aufgelistet ist, der im Gefängnis sitzt. Ich will über Namen reden, nicht über Zahlen. Wenn die türkischen Behörden damit argumentieren, dass die Betroffenen potenzielle Terroristen sind, dann sollen sie den Beweis antreten. Aber auf meine Liste haben sie nie reagiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2014)

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