Russland: Eine Putin-Doktrin für die Kultur

Russland, Moskau, Kreml, Kremlmauer
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In einem Papier grenzen Kreml-nahe Experten die nationale Identität scharf von Europa ab. Die Eigenständigkeit der russischen Zivilisation und Moral wird betont.

Wien/Moskau. Der Titel des Papiers klingt sperrig: „Vorschläge für ein Projekt zu den Grundlagen der staatlichen Kulturpolitik“ nennt sich ein russisches Programm, das, wenn es nach dem Kulturminister Wladimir Medinski geht, auf keinen Fall für die Schublade bestimmt ist. Das mehrseitige Papier wurde diese Woche in der regierungsnahen Zeitung „Izwestija“ veröffentlicht. Angesichts der aktuellen Ereignisse in der Ukraine liest es sich wie eine Verteidigungsschrift in kulturpolitischer Hinsicht.

Noch ist unklar, wann und in welcher Form das Programm in Kraft treten wird. Es dürfte von einer Arbeitsgruppe verfasst worden sein, der Mitglieder der Präsidialadministration, des Kulturministeriums und der Gesellschaftskammer – einer staatsnahen Vertretung der Zivilgesellschaft – angehören. In dem Dokument mit zwölf Unterpunkten wird nichts Geringeres als eine neue staatlich begründete Kulturdoktrin formuliert, deren Kernstück die Andersartigkeit Russlands ist: „Russland ist nicht Europa.“ Russland sei „eine einzigartige und eigenständige Zivilisation, die weder auf den Westen noch auf den Osten zu reduzieren ist“. Weitere Schlüsselbegriffe sind der „einheitliche kultur-zivilisatorische Code“ der russischen Kultur. Die Autoren vertreten die These einer einheitlichen Nationalkultur, die sich nicht in die verschiedenen Kulturen der in der Russischen Föderation vertretenen Minderheiten zerlegen lasse.

Abgrenzung von Toleranz

Interessant ist auch die angestrebte Gleichsetzung von „russisch“ mit „russländisch“. Dieser Begriff wurde seit den Neunzigerjahren verwendet, um nicht russische Minderheiten zu bezeichnen. Den Autoren scheint er nicht mehr en vogue. Scharf grenzt man sich auch vom westlichen, als „beliebig“ kritisierten Verständnis von Toleranz und Multikulturalismus ab.

Was diese Formulierungen für russische Künstler bedeuten, lässt sich heute nur erahnen. Klar ist, dass der Text, der in weiten Teilen mit Zitaten des russischen Präsidenten garniert ist bzw. sich auf diese beruft, es relativ einfach macht, ein Kunstwerk als „nicht russisch“ abzuwerten. Künstlerische Freiheit dürfe nicht dazu verwendet werden, „Werte, die für das traditionelle russische Wertesystem nicht annehmbar“ seien, zu vertreten. In dem Programm wird weiters die herausragende Rolle des Staates bei einer aktiven Kulturpolitik herausgestrichen.

Die „Putin-Doktrin“ für die Kultursphäre wirft vor allem zwei Fragen auf. Die erste ist altbekannt: Wohin mit Russland? Die zweite ist die Frage nach der Nähe der russischen Intellektuellen zum Staat. Dass das vorherrschende Verständnis noch immer ein staatsnahes ist, zeigte auch der Unterstützungsbrief von Kulturschaffenden für die Politik Putins in der Ukraine. Seit Mitte März sind 500 Unterschriften eingelangt. Es war kein selbst formulierter Text: Er wurde vom Kulturministerium verfasst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2014)

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