Prorussische Aktivisten wollen nicht weichen

Ukrainian airborne brigade stationed near Slavyansk
Ukrainian airborne brigade stationed near Slavyanskimago/ITAR-TASS
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Die Genfer Erklärung vom Donnerstag verpflichtet die Konfliktparteien zur Niederlegung der Waffen und der Räumung der besetzten Gebäude. Doch in der Ostukraine harren die Moskau-treuen Kräfte weiter aus.

Bis ins Zentrum der 115.000 Einwohner zählenden Stadt Slawjansk haben sich am Freitag die Ergebnisse der Genfer Erklärung noch nicht herumgesprochen. Vom beschlossenen Abzug der bewaffneten Milizen war am Freitag in der ostukrainischen Stadt nichts zu bemerken. Nach wie vor waren strategische Punkte wie das Gebäude des Geheimdienstes, das Polizeihauptquartier sowie die Stadtverwaltung von prorussischen Kräften besetzt.

Hinter der Barrikade, die vor dem Gebäude des ukrainischen Geheimdienstes SBU errichtet wurde, stehen zwei Panzer. Auf der Stadtverwaltung wehen die russische Trikolore und die Flagge der Region Donezk. Vor dem Eingang sind Sandsäcke aufgeschichtet, dahinter ist das Wappen der „Volksmiliz Donbass“ angebracht, einer bewaffneten prorussischen Gruppierung, die der Anfang April ausgerufenen „Volksrepublik Donetsk“ die Treue erklärt hat. Die gleiche Flagge flattert auch über einem hinter der Stadtverwaltung, unmittelbar neben einem Kinderspielplatz stehenden Radpanzer. Auf beiden Seiten des Fahrzeugs wurde der Schriftzug „Volksmiliz Donbass“ gesprayt.

Sechs Maskierte in Camouflage haben auf das Dach des Panzers gesetzt, Sturmgewehre in der Hand. In Kämpferpose lassen sie sich von Journalisten fotografieren. Als einziges sichtbares Abzeichen tragen sie das orange-schwarz gestreifte Sankt Georgs-Band, das bereits auf der Krim von prorussischen Aktivisten getragen wurde. Auch in der Ostukraine ist das Erkennungszeichen der Separatisten.

Kämpfer aus der Krim

Im Gegensatz zu den maskierten Bewaffneten, die in Slawjansk die Barrikaden bewachen, hinterlässt diese Gruppe einen äußerst professionellen, gut trainierten Eindruck. Ihr Anführer lässt sich von den Journalisten ablichten, will dann jedoch die gemachten Fotos sehen, um sicher zu gehen, dass keine Gesichter aufgenommen wurden.

Was die Bewaffneten hier tun? „Arbeiten“, gibt der Anführer einsilbig zurück. Zu der in Genf erzielten Einigung zwischen dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und seinem ukrainischen Amtskollegen Andrij Deschizja zur Niederlegung der Waffen und der Aufgabe der besetzten Gebäude möchte er keinen Kommentar abgeben. Dann schwingt er sich wieder auf das Dach des Panzers. Mit laufendem Motor wartet das Fahrzeug, bis sich ein Truppentransporter der Marke Kamaz dahinter eingereiht hat. Dessen Nummernschild endet auf 92, dem Kennzeichen der Stadt Sewastopol auf der Halbinsel Krim, wo die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist. In den vergangenen Tagen gab es immer wieder Hinweise darauf, dass Einheiten von Kämpfern von der Krim zur Unterstützung in die Ostukraine geschickt worden sind.

Aktivisten stellen Forderungen

Auch in anderen Städten der Region zeigte der Verhandlungskompromiss vom Donnerstag zunächst keine Wirkung. In Donezk erklärte der Sprecher der Moskau-treuen Aktivisten, Miroslaw Rudenko, dass Kiew zuerst seinen Militäreinsatz gegen die eigene Bevölkerung beenden müsse. Außerdem forderten die Aktivisten das Recht auf eine russische Staatsbürgerschaft, um Moskau gegebenenfalls um Beistand zu bitten. Zudem sollten festgenommene Anführer freigelassen und auch ukrainische ultranationalistische Kräfte wie der Rechte Sektor entwaffnet werden. Ein anderer Anführer der Separatisten erklärte, zunächst solle die Regierung in Kiew zurücktreten – erst dann werde man die Waffen niederlegen.

Die Regierung in Kiew kündigte dagegen eine Weiterführung des Militäreinsatzes nächste Woche an, sollten sich die Aktivisten nicht über das Osterwochenende zurückziehen.

Die Konfliktparteien legen die Einigung von Genf durchaus unterschiedlich aus: Während die Regierung das Euromaidan-Camp im Zentrum Kiews nicht räumen lassen will, fordert Moskau zuerst die Entwaffnung der ukrainischen Selbstverteidigungskräfte und des Rechten Sektors. "Selbstverständlich haben wir, wenn wir über Entwaffnung sprechen, als erstes die Abgabe von Waffen der Milizen des Rechten Sektors und anderer faschistischer Gruppen im Auge, die an dem Februarumsturz in Kiew teilgenommen haben", teilte das russische Außenministerium mit.

Die Regierung in Kiew hingegen interpretiert die Waffenniederlegung als Forderung an die prorussischen Kräfte. Und auch die USA drohten Russland mit härteren Wirtschaftssanktionen für den Fall, dass Moskau sich nicht an die Genfer Vereinbarung zur Lösung der Ukraine-Krise halten sollte. Man werde sehr genau beobachten, ob Russland seinen Einfluss auf die Separatisten im Osten der Ukraine nun geltend machen werde, damit diese wie vereinbart ihre Waffen niederlegten und besetzte Gebäuden verließen, sagte die Sicherheitsberaterin von US-Präsident Barack Obama, Susan Rice, am Freitag. Andernfalls würden die USA weitere Sanktionen erlassen, die auch wichtige Bereiche der russischen Volkswirtschaft treffen könnten.

Die Regierung in Kiew gibt sich dagegen abwartend: „Die Ukraine hat keine außergewöhnlichen Erwartungen“, sagte Premier Arsenij Jazenjuk in Kiew. Dafür kündigte sein Kabinett am Freitag an, dass Russisch den Status einer offiziellen Sprache im Osten bekommen könnte.

Molotowcocktails vorbereitet

Am Stadtrand von Slawjansk, an einer der zahlreichen Straßensperren, wollen die Besetzer noch nicht weichen. Hier erzählt man sich, dass Kämpfer des Rechten Sektors in die Stadt gelangen wollten. Damit das nicht noch einmal geschehe, werde die Straßensperre bleiben. Einer von ihnen, ein 50-jähriger Mann, wünscht sich ein Referendum wie auf der Krim. Die Aktivisten haben sich für den Ernstfall vorbereitet: Hinter den Barrikaden liegen mit Nägeln gespickte Holzbretter sowie Molotowcocktails. Ob sie sich mit diesen Waffen gegen Panzer verteidigen könnten, ist unsicher. Doch sie harren hier aus.

AUF EINEN BLICK

In der Ostukraine haben am Freitag prorussische Milizen ihre Waffen nicht niedergelegt – obwohl dies einen Tag zuvor bei internationalen Verhandlungen von den Konfliktparteien beschlossen wurde. Auch die öffentlichen Gebäude sind weiter besetzt. Die Regierung in Kiew stellte in Aussicht, Russisch den Status einer offiziellen Sprache für die östlichen Regionen zu garantieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2014)

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