In der Ostukraine grassiert antisemitische Propaganda

UKRAINE CRISIS
UKRAINE CRISISAPA/EPA/ZURAB KURTSIKIDZE
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In Donezk und Lugansk tauchen rassistische Flugblätter auf, es häufen sich Beschimpfungen und Verunglimpfungen.

Es handelt sich um eine jener Provokationen, die in den vergangenen Monaten in der Ukraine eigentlich stets befürchtet worden, im vermeintlich nationalistischen und antisemitischen Westen des Landes aber ausgeblieben sind: Drei maskierte Paramilitärs, die mit einer russischen Flagge gekommen sind, haben am Dienstag, dem ersten Tag des Pessach-Festes, vor der Synagoge von Donezk Flugblätter verteilt. Bürger jüdischer Nationalität wurden darauf vom „Volksgouverneur“ Denis Puschilin aufgefordert, sich bis zum 3. Mai und für 50 Dollar in der Regionalverwaltung registrieren zu lassen.

Im Fall einer Weigerung würden die Betreffenden deportiert und enteignet werden. Begründet wurde die Aufforderung damit, dass die jüdische Gemeinschaft in der Ukraine die „Bandera-Junta“ in Kiew unterstützt habe und der russisch-orthodoxen „Donezker Republik“ feindlich gesinnt sei.

Erinnerung an Holocaust

Obwohl Puschilin seine Urheberschaft umgehend dementieren ließ und der jüdischen Gemeinde versicherte, dass die „Donezker Volksrepublik“ nichts damit zu tun habe, sorgt die Causa für einem Sturm der Entrüstung. In vielen ukrainischen Großstädten hat im Zweiten Weltkrieg der Holocaust mit Flugblättern der deutschen Besatzungsbehörde begonnen. Es folgten Massenerschießungen – auch in damaligen Stalino, dem heutigen Donezk, wo zehntausende Juden in einer Kohlengrube verscharrt wurden. In der Millionenstadt Donezk leben heute etwa 20.000 Juden – vor 100 Jahren stellten sie nahezu ein Viertel der Gesamtbevölkerung.

Der jüngste Vorfall sei äußerst gefährlich, sagt der Donezker Religionswissenschaftler Igor Koslowski: „Derartige antisemitische und fremdenfeindliche Aktionen können an den Rand einer Katastrophe führen.“ Gemeinsam mit Kollegen vom Rat der Kirchen und religiösen Organisationen in Donezk hat er einen Protestbrief zum Vorfall veröffentlicht, der auch in der Synagoge verlesen wurde.

Sicherheitsmaßnahmen

Vertreter der Glaubensgemeinschaft hätten ihm mittlerweile versichert, so Koslowski zur „Presse“, dass der scharfe öffentliche Widerspruch bereits eine gewisse Wirkung gezeigt habe: Jene Personen, die die Regionalverwaltung besetzten, hätten begonnen, sich vom Antisemitismus zu distanzieren. Nichtsdestotrotz ersuchte die jüdische Gemeinde die ukrainischen Sicherheitsbehörden um zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen.

Dennoch bleibt unklar, wer sich hinter den maskierten Flugblattverteilern tatsächlich verbirgt. Selbst eine Provokation radikaler Pro-Ukrainer ist nicht völlig auszuschließen. Dass nunmehrige Vertreter der „Donezker Volksrepublik“ in der Vergangenheit mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen sind, steht laut Koslowski jedoch außer Zweifel: „Sie haben öffentlich beleidigende Bezeichnungen für Vertreter der jüdischen Nation verwendet, sie als ,Judenfressen‘ beschimpft, über ,jüdisch-freimaurerische Verschwörungen‘ oder vom ,jüdischen Kapital‘ gesprochen.“ Auf ihre Fahnen, erklärt Koslowski, habe sich die „Republik“ dieses antisemitische Motiv jedoch nicht geheftet.

Im benachbarten Lugansk zeigten prorussische Aktivisten keine Scheu: Nicht nur, dass zuletzt ein russisch-orthodoxer Pope wiederholt von Ukrainern sprach, die noch verlogener als Juden wären und dabei einen äußerst abwertenden Begriff für beide Nationalitäten verwendete. Auf dem von Gegnern der ukrainischen Regierung kontrollierten Platz fand sich zuletzt eine unmissverständlich antisemitische Karikatur des prominenten Kiewer Fernsehmoderators Sawik Schuster: Der „Jude Schuster“ – so stand dort zu lesen – erkläre, warum die Ukrainer Interessen des Juden Jazenjuk und der jüdischen Oligarchen verteidigen und warum Slawen einander umbringen müssten.

Rassistische Motive

Gleichzeitig sind in Lugansk wie in Donezk rassistische Motive auf Plakaten der Protestierer zu finden – und das, obwohl sich die prorussischen Aktivisten im Osten durchaus als Antifaschisten und als Gegner der „braunen Pest“ positionieren, die in Kiew die Macht übernommen habe. Polizeieinsätze in Slawjansk würden sich mit der nicht slawischen Abstammung von Innenminister Arsen Awakow erklären, heißt es in den Verschwörungstheorien. Nahezu omnipräsent sind auch Darstellungen und Puppen, die US-Präsident Barack Obama als Affen zeigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2014)

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