Erdoğan stärkt den Geheimdienst

Erdogan addresses members of parliament from his ruling AK Party during a meeting at the Turkish parliament in Ankara
Erdogan addresses members of parliament from his ruling AK Party during a meeting at the Turkish parliament in AnkaraREUTERS
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Ein neues Gesetz räumt dem Geheimdienst mehr Befugnisse bei der Überwachung der Bürger ein. Damit könnte sich der Graben zwischen Premier und Präsidenten weiter vertiefen.

Istanbul. Ein neues Geheimdienstgesetz verschärft die politischen Spannungen in der Türkei. Mit den Stimmen der Regierungspartei AKP von Premier Recep Tayyip Erdoğan verabschiedete das Parlament in Ankara die Reform, die dem Geheimdienst weitgehende Machtbefugnisse einräumt. Die Opposition kündigte eine Verfassungsklage an. Die Novelle könnte auch die Rivalität zwischen Erdoğan und Staatspräsident Abdullah Gül verstärken.

Erdoğans Geheimdienst MIT erhält mit dem Gesetz weitreichende Befugnisse bei der Überwachung von Bürgern. Selbst auf Daten von Banken und anderen Institutionen soll die MIT zurückgreifen können; Journalisten, die Geheimdienstinformationen veröffentlichen, können mit bis zu neun Jahren Haft bestraft werden. Journalistenverbände und andere Kritiker sehen in dem Gesetz einen Angriff auf die Grundrechte. Die Opposition warnt, die MIT werde zu einer Art Gestapo, und will die Reform vor dem Verfassungsgericht zu Fall bringen. Ein Veto von Präsident Gül gegen das Gesetz würde ihm die Sympathien von AKP-Gegnern einbringen – gleichzeitig aber neue Spannungen mit der Erdoğan-Regierung schaffen.

Gül und Erdoğan sind die aussichtsreichsten Kandidaten für die Neuwahl des Staatspräsidenten am 10.August. Der 60-jährige Erdoğan hat diese Woche mit internen Beratungen in seiner Partei begonnen, um eine mögliche Kandidatur vorzubereiten. Derzeit gibt es nur zwei Dinge, die seinen Wechsel in den Präsidentenpalast noch verhindern könnten: seine Sorge um einen Zerfall der AKP – und eine Bewerbung von Amtsinhaber Gül, 63, für weitere fünf Jahre.

Mehr als nur eine Zeremonie

Bei der Wahl im August wird das Präsidentenamt aufgewertet: Zum ersten Mal wird das Staatsoberhaupt direkt vom Volk gewählt, und nicht mehr vom Parlament wie bisher. Die Direktwahl verleiht dem Präsidenten zwar nicht formell mehr Macht, aber doch ein stärkeres politisches Mandat.

Erdoğan kündigte diese Woche laut Presseberichten bei einem Treffen mit AKP-Politikern hinter verschlossenen Türen an, wenn er sich zu einer Kandidatur entschließe, werde er sich als Präsident nicht auf zeremonielle Aufgaben beschränken, sondern weiterhin die Vorgabe der politischen Richtlinien für sich beanspruchen.

Gül hingegen verspürt keine Lust, unter einem Präsidenten Erdoğan in das Ministerpräsidentenamt zurückzukehren. Er sagte am Freitag, ein Ringtausch wie zwischen Wladimir Putin und Dmitri Medwedew in Russland „passt nicht zur Türkei“. Er selbst sehe keine größere Ehre als das Präsidentenamt und habe unter den derzeitigen Bedingungen keine „politischen Zukunftspläne“. Dies kann als Absage an eine Rückkehr in die Tagespolitik verstanden werden – doch ein Nein zu einer erneuten Präsidentschaftskandidatur war die Bemerkung nicht. Anders als Erdoğan, der für seine scharfen Angriffe auf politische Gegner berüchtigt ist, hat Gül den Ruf eines Versöhners, der auch Wähler von außerhalb der AKP-Anhängerschaft auf sich vereinigen könnte.

In den vergangenen Wochen hat sich Gül mehrmals öffentlich gegen Erdoğans harte Linie gestellt und unter anderem das vorübergehende Twitter-Verbot kritisiert. Nun kommt mit dem Geheimdienstgesetz eine neue Bewährungsprobe auf Gül zu. Bisher hat der Präsident nicht zu erkennen gegeben, ob er sein Veto gegen das Gesetz einlegen will. Doch Gül ist ganz offensichtlich genervt von den Bemühungen in der AKP, die Bewerbung Erdoğans als unausweichlich darzustellen. Niemand habe das Präsidentenamt jetzt schon „in der Tasche“, sagte er.

Parteimitgliedschaft aufgeben

Erdoğan geht es aber nicht nur um Gül. In der AKP wird die Sorge laut, dass die Regierungspartei auseinanderbrechen könnte, wenn die Führerfigur Erdoğan nicht mehr da ist. Denn bei einem Wechsel in das Präsidentenamt müsste der derzeitige Premier seine Parteimitgliedschaft aufgeben.

AUF EINEN BLICK

Türkei. Am 10.August findet die Präsidentenwahl statt – erstmals wird das Staatsoberhaupt vom Volk direkt gewählt. Dem derzeitigen Premier, Recep Tayyip Erdoğan, werden Ambitionen auf das Amt nachgesagt. Gemeinhin wird erwartet, dass er und Präsident Abdullah Gül – nach dem russischen Modell – die Plätze tauschen. Allerdings hält sich vor allem Gül bisher bedeckt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2014)

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