„EU-Erweiterung ist nicht zu Ende"

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Außenminister Kurz und Chefdiplomaten der Slowakei, Ungarns und Sloweniens forderten neue Beitrittsperspektiven - für den Balkan, nicht für die Ukraine.

Wien. Zwischen seinen Reisen nach Israel und in den Iran legte Außenminister Sebastian Kurz einen Zwischenstopp in Wien ein. Und dabei rückte wieder der nähere, der europäische Osten in sein Blickfeld. Donnerstagabend eröffnete er im Rahmen einer internationalen Konferenz eine hochkarätige Paneldiskussion über die große EU-Erweiterung, die sich am 1. Mai zum zehnten Mal jährt. Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern traten damals der Europäischen Union bei. Kurz forderte eine frische Beitrittsperspektive, meinte damit allerdings den Westbalkan und nicht die Ukraine. Man dürfe Länder wie die Ukraine oder Moldau in keine Zerreißprobe treiben.
Ähnlich, aber noch zurückhaltender äußerte sich der slowakische Vizepremier Lačják. Die EU-Erweiterung sei keine humanitäre Angelegenheit, sie müsse der Union schon etwas bringen. Zwischen den Zeilen zweifelte er an, ob die EU in der Ukraine-Krise ihre Sanktionsdrohung gegen Russland aufrecht erhalten könne. Igor Senčar, Außen-Staatssekretär Sloweniens, setzte einen anderen Akzent. „Die Erweiterung ist nicht zu Ende, auch nicht im Osten Europas."

Die ungarische EU-Staatsministerin Enikö Györi hob die Bedeutung einer Beitrittsperspektive für Transformationsländer hervor, warnte allerdings die EU, Mitgliedstaaten „wie Schüler" zu behandeln. Kaum ein Blatt vor den Mund nahm sich Erste-Bank-Chef Andreas Treichl: Die wirtschaftliche Dynamik sei in vielen Erweiterungsländern hinter den Erwartungen geblieben. Einige hätten die Chance nicht genützt, die EU-Milliardenhilfen eröffnet hätten. Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung, rief in seinem Eröffnungsstatement die Euphorie nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Erinnerung. Europa müsse wieder Begeisterung wecken, mit Überregulierung werde das allerdings nicht gelingen.

Am Vormittag hatte sich die Konferenz, die in den Räumlichkeiten der Österreichischen Nationalbank stattfand, zunächst um die Ukraine gedreht. Die Meinungen gingen auseinander, wie die EU mit der Ex-Sowjetrepublik verfahren solle - und ob es für das 46 Millionen-Einwohner-Land eine Neuauflage der mittelosteuropäischen Integrationserfolgsgeschichte geben könne. Ex-Raiffeisen-Chef Herbert Stepic riet der Union, Reformen ohne Mitgliedsperspektive voranzutreiben. Im „russischen Vorgarten" solle die EU besser behutsam sein. Olga Bielkowa, Parlamentsabgeordnete von Vitali Klitschkos Partei Udar, rief indes dazu auf, bei all den geopolitischen Erwägungen nicht das (prowestliche) Interesse vieler Ukrainer zu vergessen.

Carnegie-Fellow Lilia Schewzowa und Iwan Krastew vom Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen riefen die seit der Annexion der Krim veränderten Rahmenbedingungen ins Gedächtnis: Die Ära „nach dem Kalten Krieg" sei vorüber. Die EU habe noch keine Antwort auf die neue Epoche der Unsicherheit. (cu/som)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2014)

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