Medien in der Türkei: "Eingriffe versetzen den Todesstoß"

(c) REUTERS (MURAD SEZER)
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Der Journalist Erol Önderoğlu sieht die unabhängigen Medien akut gefährdet. Investigativer Journalismus werde vernachlässigt.

Wien/Istanbul. Zwei Jahre hintereinander hat es die Türkei auf den unrühmlichen ersten Platz geschafft: Im Dezember 2013 erklärte das in New York beheimatete „Committee to Protect Journalists“ (CPJ), dass die Türkei erneut das Land mit den meisten inhaftierten Journalisten sei (insgesamt 40 Personen, gefolgt von Iran und China).

Zwar sind einige von ihnen zwischenzeitlich wieder auf freiem Fuß – Ende März wurden binnen zwei Tagen acht Journalisten entlassen –, aber die Verfolgung der sozialen Medien in der Türkei hat das Bild des CPJ erneut bestätigt: Im Vorfeld der Kommunalwahlen ließ die AKP-Regierung Twitter und YouTube sperren. Organisationen wie CPJ und der OSZE bereitet der Umgang der Türkei mit den Medien seit mehreren Jahren Kopfzerbrechen. Dabei fand Anfang der 2000er-Jahre eine umfassende Reform der Medienlandschaft statt, wie der Journalist Erol Önderoğlu von der Agentur Bianet sagt (das von EU-Mitteln geförderte Informationsnetzwerk wurde vergangenes Jahr mit dem „Press Freedom Award“ ausgezeichnet).

Dieser mediale Frühling fand vor allem im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen statt: Repressionen gegenüber Journalisten, die vor dem Regierungsantritt der AKP vom Militär ausgeübt wurden, haben aufgehört – und etliche Neugründungen haben die Medienlandschaft bereichert, sagt Önderoğlu. Nur einige Jahre später habe die AKP allerdings wieder begonnen, Druck auf die Medien auszuüben. Heute würden Journalisten vor allem Terrorverdacht vorgeworfen, um sie verhaften zu können. Zudem hat Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan eine Reihe von Journalisten bzw. Karikaturisten verklagt, die ihn wenig schmeichelhaft dargestellt hatten.

Auf Journalistenfragen reagiere Erdoğan oft beleidigt, unliebsamen Medienmitarbeitern würde er die Akkreditierung verweigern. Am bedenklichsten sei aber, dass der Premier öffentlich zugebe, Urteile zugunsten von Journalisten und Menschenrechten nicht zu akzeptieren: „Das ist ein schlechtes Beispiel für die Bevölkerung.“

Pluralität Ergebnis des Kampfes

Vor allem mit der Blockade von Twitter und YouTube ist die Türkei international in die Kritik geraten. Für die NGO „Reporter ohne Grenzen“ war dieser Schritt eine Zensur, „die nur den repressivsten Ländern der Welt würdig ist“. Zuvor wurde vor allem in diesen Plattformen Erdoğans Regierung kritisiert. So tauchten auf YouTube mitgeschnittene Telefonate auf, die den Premier in die Bredouille brachten.

Die Türkei hat eine durchaus breit gefächerte und bunte Medienlandschaft, und das sei die große Chance des Landes, sagt Önderoğlu. Noch mehr Eingriffe in den Journalismus vonseiten der Regierung und Wirtschaftswelt sowie weitere Einschüchterungen würden der unabhängigen Medienlandschaft den Todesstoß versetzen. Die Medienpluralität sei allerdings auch ein Ergebnis des Kampfes gegenüber der immer repressiv agierenden Regierung. Investigativer Journalismus würde immer weniger von Mainstream-Medien der Großkonzerne gefördert, sondern von kleineren – etwa linken oder kurdischen – Blättern. Deren Einfluss halte sich allerdings in Grenzen. (duö)

VERANSTALTUNG

Erol Önderoğlu. Der Journalist („Bianet“, „Güncel Hukuk“, „Reporter ohne Grenzen“) wird anlässlich des Internationalen Tages der Pressefreiheit über die Lage der Medien in der Türkei referieren. Die Diskussion findet am Dienstag, 29. April, um 19 Uhr im Presseclub Concordia statt und wird vom Presserat sowie „Reporter ohne Grenzen“ veranstaltet. Die Moderation leitet Duygu Özkan („Die Presse“). [ Önderoğlu ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2014)

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