Sinn-Fein-Chef unter Mordverdacht

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Dem katholischen Nationalisten-Chef Gerry Adams wird vorgeworfen, 1972 einen Mord an einer vermeintlichen britischen Informantin angeordnet zu haben.

London. Die Gespenster der Vergangenheit kommen in Nordirland nicht zur Ruhe. Gerry Adams, Chef der Sinn-Fein-Partei, ist wegen Mordverdachts in Haft. Adams wird vorgeworfen, 1972 die Entführung und Ermordung von Jean McConville, einer Mutter von zehn Kindern, angeordnet zu haben, die von der Untergrundorganisation IRA fälschlich für eine britische Informantin gehalten worden war.

Die Irisch-Republikanische Armee (IRA) führte seit den 1960er-Jahren einen blutigen Kampf gegen die britische Präsenz in Nordirland und für die Vereinigung der irischen Insel. Die sogenannten „Troubles“, bei denen sich katholische und protestantische Untergrundgruppen gegenüberstanden, forderten 3800 Tote. Das „Karfreitagsabkommen“ von 1998 leitete einen fragilen Friedensprozess ein. Dabei spielte Adams als Chef der Sinn Fein, des politischen Arms der IRA, eine entscheidende Rolle.

Die Anschuldigungen in Zusammenhang mit dem Mord an der damals 37-jährigen McConville, die kurz vor Weihnachten 1972 vor den Augen ihrer Kinder aus ihrem Haus in West-Belfast entführt worden war und deren Leiche man erst 2003 fand, wurden von Adams entschieden zurückgewiesen. Den Mord verurteilte er als „grobe Ungerechtigkeit gegen sie und ihre Familie“.

Seine Partei betonte, dass sich Adams „freiwillig zu der Vernehmung durch die Polizei“ begeben habe. Adams ist allerdings, wie einst die IRA, ein Meister des Dementi. Trotz zahlloser Aussagen ehemaliger Kämpfer, die ihn als Ex-Führer der Terrorgruppe bezeichnen, bestreitet er bis heute vehement, jemals auch nur Mitglied der Organisation gewesen zu sein. Gleichzeitig aber beteuerte er erneut seine Loyalität zur IRA, „von der ich mich nie losgesagt habe und nie lossagen werde“.

Im Gegensatz zum Heldenmythos des irisch-katholischen Untergrunds handelt es sich aber nicht um eine Gruppe heldenhafter Freiheitskämpfer, sondern um brutale Mörder, die auch in allerlei kriminelle Aktivitäten wie Drogen- oder Waffenhandel verstrickt waren bzw. sind. Obwohl die Entwaffnung der IRA von einer internationalen Kommission bestätigt wurde, sind vereinzelte Splittergruppen – wie auf protestantischer Seite – noch aktiv. Die Festnahme Adams geht auf Aussagen ehemaliger IRA-Kämpfer zurück, die in einem Studienprojekt der US-Universität Boston vertraulich über ihr Leben berichtet hatten. Auf dieser Grundlage wurde jüngst der 77-jährige Ivor Bell als einer der ehemaligen IRA-Führer des Mordes angeklagt.

Erst langsam wird bekannt, welchen Preis Großbritannien für ein Ende des Bürgerkriegs in Nordirland zu zahlen bereit war. Ende Februar sorgten geheime Briefe für Empörung, in denen 187 flüchtigen IRA-Mitgliedern Straffreiheit zugesichert wurde. Unter vielen Protestanten wächst das Gefühl, die andere Seite habe den besseren Deal erzielt. Das harte Vorgehen gegen Adams könnte ein Signal sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2014)

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