„Alle Juden denken darüber nach, den Iran zu verlassen“

Arash Abaie, Sprecher der schrumpfenden jüdischen Gemeinde in Teheran, über jüdisches Leben im Land des Holocaust-Leugners.

TEHERAN (sei.). Wie lebt es sich in einem Land, in dem der Präsident den Holocaust anzweifelt und den Judenstaat ausradieren will? In einem Land, in dem der Slogan „Marg bar Israil“ „Tod Israel“ zur Freitagsgebets-Folklore gehört? „Alle Juden denken darüber nach, ob sie das Land verlassen sollen. Viele haben es bereits getan“, sagt Arash Abaie. Er ist Sprecher der jüdischen Gemeinde in Teheran, Autor einer Reihe von Büchern über Judaismus und Gründer des jüdischen Monatsmagazins „Bina“, der einzigen jüdischen Publikation, die auf Farsi erscheint.

Abaie wohnt im Zentrum Teherans, in der Nähe des Keshavarz Boulevard. Im Iran leben vielleicht noch 20.000 Juden. Eine kleine Minderheit, verglichen mit den rund 70 Millionen Muslimen, aber der Iran beherbergt immer noch die größte jüdische Gemeinde im Nahen Osten außerhalb Israels.

Die Gemeinde ist seit der Islamischen Revolution stark geschrumpft: Damals lebten mindestens 80.000 Juden im Iran. Heute gibt es in Teheran nur mehr einen Rabbi für 26 Synagogen.

Österreich als Transitland

Irans Juden wanderten in drei Wellen aus. Gleich nach der Islamischen Revolution 1979 brachen die ersten Richtung Europa, USA und Israel auf. Im Iran-Irak-Krieg von 1980 bis 1988 folgte die zweite Auswanderungswelle und nachdem 1999 in der Ära des Präsidenten Khatami dreizehn Juden in Shiraz, der Hauptstadt der zentralen Südprovinz Fars, wegen „Spionage für das zionistische Regime“ verhaftet worden waren, die dritte. Österreich hat bei diesen Auswanderungswellen als Transitland stets eine Rolle gespielt, wobei die Zahlen der über Wien emigrierenden iranischen Juden stark rückläufig sind. 200 bis 300 iranische Juden warten nach Auskunft der Israelitischen Kultusgemeinde Wien derzeit auf ihre Weiterreise.

Juden haben im Iran eine reiche Tradition, ihre Wurzeln gehen zurück auf die Zerstörung des ersten Tempels in Jerusalem durch die Babylonier im Jahre 586 v. Chr. Damals flohen viele Juden nach Persien. Arash Abaie: „Durch diese lange Tradition sind unsere iranischen Wurzeln stärker als unsere religiösen. Es gibt über uns diesen Witz: ,Wir sind jüdische Muslime in Iran.‘“ Nach der Islamischen Revolution sagte Ayatollah Khomeini, man müsse den Zionismus vom Judaismus unterscheiden. „Er bezeichnete den Judaismus als göttliche Religion. Das war für uns der goldene Satz, der uns in kritischen Situationen immer wieder geschützt hat“, erzählt Abaie.

Ahmadinejad verstärkte Druck

Dennoch: Die Gemeinde war und ist immer wieder Druck ausgesetzt. Als der ungarische Autor Imre Kert©sz für seinen „Roman eines Schicksallosen“ 2002 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, schrieb Abaie im Magazin „Bina“ über die Holocaust-Erfahrungen von Kert©sz. „Die Behörden haben mich dann mit allem Respekt gebeten, das Holocaust-Thema fallen zu lassen.“

Das war sogar noch zur Zeit des weltoffeneren Präsidenten Khatami. Sein Nachfolger Ahmadinejad zweifelt offen am Holocaust oder zumindest an dessen Ausmaß.

Abaie hat mehrere Interpretationen für die Linie der Regierung: „Wir haben interne wirtschaftliche und soziale Probleme in Iran. Also geht es darum, die Gedanken der Menschen auf einen Außenfeind zu lenken. Wenn man die Menschen von früh bis spät mit Israel und dem Holocaust beschäftigt, haben sie keine Zeit, sich über ihre Probleme Gedanken zu machen.“ Der zweite, immer wichtiger werdende Punkt: „Irans Führer hoffen offenbar, mit der Beschwörung eines gemeinsamen Feindes die Kluft zwischen Sunniten und Schiiten zu überwinden.“

Zuletzt wurde Abaie „nahe gelegt“, er solle seinen Hebräisch-Unterricht einstellen. Doch er lässt sich nicht einschüchtern. „Wir sind Iraner, nichts kann uns davon abhalten, hier zu bleiben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2007)

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