Belgrad gibt zu: Mladic in Serbien

AP
  • Drucken

Gesuchter Kriegsverbrecher ist Stolperstein auf Serbiens Weg Richtung EU.

BELGRAD. Es ist eine kleine Revolution: „Wir vermuten, dass Ratko Mladic in Serbien ist und Radovan Karadcic in der weiteren Region, also in Serbien einschließlich Kosovo, in Bosnien oder Montenegro, sagte Vladimir Vukcevic, Serbiens Sonderstaatsanwalt für Kriegsverbrechen, in einem Donnerstag erschienenen Interview mit der Zeitung „Blic“. Auch die beiden anderen noch flüchtigen serbischen Angeklagten des Haager Kriegsverbrechertribunals, Stojan cupljanin und Goran Hadcic, ortet er „wahrscheinlich“ in Serbien: „Aber wir wissen im Moment nicht, wo.“

Dies ist eine bemerkenswerte Kehrtwende, denn die offizielle Position Belgrads war bisher, dass der mutmaßliche Kriegsverbrecher Mladic nicht in Serbien sei.

Solange Serbien Mladic nicht nach Den Haag ausgeliefert habe, solle die EU das bereits paraphierte Assoziierungs-Abkommen mit Serbien nicht unterzeichnen, forderte erst diese Woche Carla del Ponte, die scheidende Chefanklägerin des Tribunals, bei ihrem wohl letzten Besuch in Belgrad.

Bereits 1995 hatte das UN-Tribunal den heute 64-jährigen Ex-General der bosnisch-serbischen Armee wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Bis 2002 soll der Mann, dessen Truppen 1995 das Massaker an mehr als 7000 männlichen Bewohnern der bosnischen Muslim-Enklave Srebrenica begingen, indes unbehelligt bei seinem Sohn in Belgrad gelebt haben.

Unwillen oder Unvermögen

Danach tauchte Mladic ab. Im Frühjahr 2006 schien die Verhaftung des Generals, den serbische Nationalisten noch immer als Kriegsheld verehren, unmittelbar bevorzustehen. Doch die Festnahme blieb aus. Wegen des sichtlichen Unwillens oder Unvermögens Belgrads, Mladic festzunehmen, setzte die verärgerte EU für ein Jahr die Verhandlungen über das Assoziierungs-Abkommen mit Serbien aus.

Erst nach der Auslieferung von zwei anderen flüchtigen Angeklagten nahm Brüssel im Mai die Gespräche wieder auf. Der Verbleib von Mladic sei unbekannt, versichern Serbiens Politiker und Ermittler seither zwar unisono. Doch Vukcevic gab nun eben zu, dass auch Serbiens Justiz wie Del Ponte davon ausgeht, dass sich der General im Land versteckt hält.

Der Staatsanwalt bestätigte, dass sich Mladic zumindest 2004 für eine Operation erneut in Belgrad aufhielt. Er habe damals die Ermittlungen nicht geleitet, antwortete der Jurist auf die Frage, warum der Gesuchte da denn nicht verhaftet worden sei. Nicht auszuschließen sei, dass ihn damals auch Regierungsmitglieder gedeckt haben könnten, so der Ankläger: „Aber ich bin sicher, dass ihm niemand von der gegenwärtigen Regierung hilft.“ Seinen Worten zufolge brachte die Auslobung einer Belohnung von einer Million Euro Serbiens Ermittler bislang nur auf die Fährte von täuschend ähnlichen Doppelgängern.

Die Spur von Karadziz, der sich hartnäckigen Gerüchten zufolge in einem Kloster verstecken soll, haben Serbiens Ermittler offenbar genauso verloren wie das UN-Tribunal. Vukzeviz räumte allerdings ein, dass er Carla Del Ponte bei ihrem letzten Besuch zumindest die Verhaftung von zuplanin und Hadziz zugesagt hatte.

„Wir waren nahe an ihnen dran und hofften, dass sie sich freiwillig stellen würden.“ Mit der Hilfe eines Vermittlers habe die Staatsanwaltschaft mit den Flüchtigen verhandelt, die allerdings „nicht lokalisiert“ werden konnten: „Sonst hätten wir sie verhaftet.“ Kontakte mit Mladic habe Serbiens Justiz zumindest während seiner Amtszeit keine gehabt, versichert der Ankläger: „Wir haben mit ihm nie verhandelt.“

ZUR PERSON. R. Mladic

Das Kriegsverbrechertribunal der UNO für Ex-Jugoslawien erhob 1995 Anklage gegen Ratko Mladic, Militärchef der bosnischen Serben. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, für das Massaker an mehr als 7000 Muslimen in Srebrenica verantwortlich zu sein. Dennoch lebte er bis 2002 unbehelligt in Belgrad und erhielt auch danach noch Hilfe aus Militärkreisen. Angeblich ist Mladic schwer nierenkrank. [AP]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.