Tschechien-Slowakei: Die Scheidung, die zum Vorbild wurde

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Vor 15 Jahren kam das Aus für die CSFR - Tschechen und Slowaken gingen getrennte Wege. Die Trennung war einvernehmlich und verlief friedlich.

BRATISLAVA. Als mit 1. Jänner 1993 die damalige Tschechoslowakei (CSFR) in zwei Nachfolgerepubliken zerfiel, da wurde fast zeitgleich mit dem blutigen Zerfall Jugoslawiens auf friedlichem Weg vorgezeigt, wie es auch anders gehen kann. Weder Tschechen noch Slowaken wollten zwar die Trennung wirklich, die Regierenden in Prag und Pressburg verzichteten deshalb wohlweislich auf ein Referendum. Auf der politischen Ebene aber ließ sich einfach kein gemeinsamer Weg mehr finden.

Bei den Parlamentswahlen 1992 hatten sich in beiden Landesteilen zu gegensätzliche Parteien jeweils klar durchgesetzt. So entschieden sich der tschechische Wahlsieger Václav Klaus und der Slowake Vladimír Meciar über die Köpfe der Menschen hinweg für eine einvernehmliche Scheidung.

In Tschechien konnten sich laut Umfragen am ehesten noch Wähler der Klaus-Partei ODS damit anfreunden, die als Klotz am Bein empfundene Slowakei einfach abzuschütteln. In der nur halb so großen Slowakei wiederum waren es gerade die weniger gebildeten Anhänger der kleinen rechtsradikalen Slowakischen Nationalpartei, die als einzige eine Trennung befürworteten.

Die Sympathie zwischen beiden Nationen ist seit der Trennung offenkundig nicht kleiner, sondern größer geworden. Früher auch im Alltag spürbare Rivalitäten zwischen beiden Nationen beschränken sich nun fast nur mehr auf Länderspiele im Eishockey, das in beiden Staaten wichtigster Kultsport geblieben ist.

Werden aber Tschechen und Slowaken gefragt, mit welcher anderen Nation sie sich am meisten verwandt fühlen und welche ihnen am sympathischsten ist, nennen beide ohne Zögern zuallererst die einstige Geschwisternation.

Ähnlichkeiten in Belgien

Vor diesem Hintergrund verwundert nicht, dass die ursprünglich mehr an ein Missverständnis denn an wohlüberlegte Absicht erinnernde Staatstrennung inzwischen immer häufiger als Vorbild präsentiert wird: Schon seit Jahren verweisen Befürworter einer Trennung des frankofonen Quebec von Kanada auf das von Prag und Pressburg vorexerzierte Beispiel.

In den vergangenen Monaten wurde das tschechisch-slowakische Beispiel auch immer wieder als mögliches Vorbild für die auseinander driftenden Flamen und Wallonen in Belgien genannt. In Belgien ist sogar die Ausgangslage auffallend ähnlich: Wie vor 15 Jahren in der Tschechoslowakei ist durch eine in beiden Landesteilen gegensätzlich ausgegangene Parlamentswahl ein politisches Patt entstanden.

WIE ES ZUR TRENNUNG KAM

Seit Anfang 1991 verhandelten tschechische und slowakische Politiker hinter verschlossenen Türen über eine eventuelle Auflösung der Tschechoslowakei.

1992 siegte bei den Wahlen in Tschechien Václav Klaus, in der Slowakei Vladimír Meciar; die beiden einigten sich auf die Trennung ab 1993 (Bild). [AP]

PRAG. An den Kassen tschechischer Supermärkte sitzen viele Slowakinnen. Manche verabschieden ihre Kunden schon mal mit dem gewohnten „Dovidenia“ statt mit dem tschechischen „Na shledanou“. Die Tschechen geben den Gruß aber prinzipiell auf Tschechisch zurück. Denn bei den Tschechen ist die Tschechoslowakei-Nostalgie auch weniger ausgeprägt als bei den Slowaken.

Viele Tschechen empfinden das Drängen der Slowaken nach Eigenständigkeit bis heute als „Verrat“. Intellektuelle vermissen den „slowakischen Abend“ im Fernsehen, an dem über viele Jahre slowakische Theater ihre Inszenierungen vorstellten, und der hohe Einschaltquoten hatte. Einige Probleme bereitet es ihnen auch, slowakische Tageszeitungen zu bekommen. An den Kiosken herrscht da Fehlanzeige – im Gegensatz zur Slowakei, wo man die großen tschechischen Blätter wie ganz selbstverständlich erhält.

Wirklich problematisch ist, dass die tschechischen Kinder kaum mehr Slowakisch verstehen, obwohl sich das vom Tschechischen so markant nicht unterscheidet. Zweisprachige Fibeln, die zu tschechoslowakischen Zeiten Pflicht waren, gibt es nicht mehr.

Echte Konkurrenz nur im Sport

Politisch geht es zwischen Tschechen und Slowaken ziemlich reibungslos zu. Die Beziehungen lägen „über dem Standard“, lautet die gängige Formel auf beiden Seiten der Morava (March). Der Witz der Geschichte aber ist, dass die Slowaken den Tschechen auf dem Gebiet der Wirtschaftsdynamik häufig voraus sind.

Eine echte Konkurrenz zwischen Tschechen und Slowaken vermag eigentlich nur noch der Sport zu erzeugen. Die Slowaken haben bis heute ungute Erinnerungen daran, dass sie nach der Teilung der Tschechoslowakei in ihrem Nationalsport Eishockey in die C-Gruppe der Weltmeisterschaft verfrachtet wurden, während die Tschechen weiter in der Eliteklasse dem Puck nachjagen durften. Als die Slowaken dann zum ersten Mal Weltmeister wurden, war der Jubel größer als bei den Feiern zur Eigenstaatlichkeit.

Doch die Konkurrenz hört spätestens dann auf, wenn Tschechen oder Slowaken aus einem WM-Turnier ausscheiden. „Wenn die Tschechen weiterkommen, drücke ich natürlich ihnen die Daumen“, sagt eine Slowakin, die in Prag beim tschechischen Dienst von Google arbeitet. Und sie weiß, dass ihre tschechischen Kollegen das umgekehrt auch so mit den Slowaken halten. „Das ist ein bisschen so, wie die Deutschen sagen: Sex mit der Ex.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2007)

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