Serbiens radikale Nationalisten wittern ihre große Chance

EPA (Sulejmanovic)
  • Drucken

Russophiler Oppositionschef und EU-Kritiker Tomislav Nikolic geht als Favorit in Stichwahl gegen Präsident Tadic.

BELGRAD. Mit rot geränderten Augen stellte sich der müde Wahlkampf-Gladiator dem Blitzlichtgewitter der Fotografen. „Nie waren wir dem Sieg so nah“, verkündete Serbiens nationalistischer Oppositionschef Tomislav Nikolic unter dem Applaus seiner begeisterten Anhänger im Hauptquartier der Serbischen Radikalen Partei (SRS) im Belgrader Vorort Zemun. Vor dem Triumphator, den die Songcontest-Siegerin Maria Seferovic, begleitete, stand eine mehrstöckige Wahltorte.

Doch der Statthalter des im UN-Kriegsverbrecher-Gefängnis einsitzenden SRS-Chef Vojislav Sešelj hatte nur den nächsten Urnengang am 3. Februar im Auge. „Ich will Serbien vereinigen – und auf einen besseren Weg führen“, verkündete der 55-jährige Präsidentschafts-Anwärter: „Ich verspreche euch: Von mir werdet ihr vor der Stichwahl kein schlechtes Wort über irgendjemand hören.“

Aus den Donau-Böschungen stiegen dichte Nebelschwaden, während hoch oben im 23.Stockwerk des Usce-Tower auf der Wahlparty der westlich orientierten Demokratischen Partei (DS) die verstörten Verlierer den Durchblick für die Stichwahl suchten. Vier Prozent Rückstand hat ihr pro-europäischer Hoffungsträger Boris Tadic wettzumachen. Doch obwohl er die Favoriten-Rolle vorläufig an seinen Rivalen abgetreten hat, gibt sich der Präsident kämpferisch und entschlossen. Er habe ein solches Ergebnis erwartet, sei jedoch für den zweiten Wahlgang „optimistisch“, versicherte der Amtsinhaber mit bleicher Miene.

„Ich werde nicht zulassen, dass uns Nikolic als Präsident zurück in die 90er-Jahre führt,“ kündigte Tadic einen scharfen Wahlkampf an. Alle Kräfte, die im Oktober 2000 das Regime des damaligen Präsidenten Slobodan Milocevic gestürzt hätten, müssten bei der Stichwahl zusammenstehen: „Lasst uns Europa zusammen erobern. Ich habe letztes Mal gewonnen – und werde wieder siegen.“

Doch eines neuerlichen Triumphs kann sich der Staatschef keineswegs sicher sein. Entscheidend werden die Wähler der ausgeschiedenen Kandidaten sein. Die Anhänger des Sozialisten Milutin Mrkonjic (6 Prozent) dürften geschlossen für Nikolicvotieren. „46 Prozent haben wir schon in der Tasche – und die restlichen drei, vier Prozent holen wir uns von den anderen Kandidaten“, gab sich in Zemun ein SRS-Funktionär im Maßanzug siegesgewiss. Den Rückstand von fast 170.000 Stimmen werde Tadic in zwei Wochen „niemals“ aufholen.

Alles hängt von Kostunica ab

Tadic setzt vor der Stichwahl vor allem auf die Stimmen der Anhängerschaft des von Premier Vojislav Koctunica unterstützten Infrastruktur-Ministers Velimir Ilic (7,6 Prozent), des Liberaldemokraten Cedomir Jovanovic (5,6 Prozent) und des ungarischen Minderheitspolitikers Istvan Pastor (2,2 Prozent). Doch noch immer hält sich der Premier mit einer Wahlempfehlung auffällig zurück. Zumindest ein Viertel der Ilic-Wähler könnte für Nikolic votieren, glaubt Zoran Lucic vom Meinungsforschungs-Institut CESiD: „Viel hängt von Koctunica ab.“

Die Wahlforscher wagen kaum mehr Prognosen. Eine höhere Wahlbeteiligung werde sich positiv auf Tadics Ergebnis auswirken, hatten sie noch vor dem ersten Wahlgang unisono erklärt. Zwar war der Andrang an den Urnen so groß wie bei keiner anderen Präsidentenwahl seit der Wende im Jahr 2000. Dennoch konnte Nikolic seinen Vorsprung behaupten.

Kreide vor der Stichwahl

Vor allem in der Provinz wusste Nikolic sein Potenzial der Wendeverlierer und Jungwähler zu mobilisieren. Zudem hat sich die Anhängerschaft der Radikalen durch die Registrierung von 200.000 Kriegsflüchtlingen als Wähler in den letzten Jahren erhöht.

„Ich werde niemals in der EU sein“, prangte in Zemun auf dem Anstecker eines SRS-Anhängers in Zemun. Doch noch stärker als bisher will sich Nikolic im Wahlkampf als weltoffener Bürgervater positionieren. „Ich werde Serbien den Weg in die EU öffnen“, beteuerte der weich gespülte Nationalist in der Wahlnacht: „Mein Sieg wird Serbien näher zur EU – und zu Russland bringen.“ Leitartikel S. 39

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.