Offensive: „Heißer Winter“ in Gaza beendet Friedenssuche

(c) AP (Hatem Moussa)
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Israel fliegt schwere Angriff gegen Ziele im Gaza-Streifen. Die Operation kostete schon über 70 Todesopfer. Die Palästinenser setzen Verhandlungen und den Waffenstillstand aus.

JERUSALEM. „Nicht für eine Sekunde“, will Israels Premierminister Ehud Olmert die israelischen „Anti-Terror-Maßnahmen“ im Gazastreifen einstellen. Über 70 Tote forderten die Militäroperation „Heißer Winter“ am Wochenende, darunter laut Krankenhausberichten 18 Frauen und Kinder. Bei den punktuellen Vorstößen auf palästinensisches Gebiet starben am Samstag auch zwei israelische Soldaten. Die palästinensische Führung im Westjordanland setzte die Friedensverhandlungen auf unbestimmte Zeit aus.

„Jetzt ist nicht mehr die Zeit, um von einem Waffenstillstand zu sprechen“, kommentierte Achmad Jussef, Sprecher des palästinensischen Ex-Premiers Ismail Hanijeh (Hamas) den bisher schwersten israelischen Angriff auf den Gazastreifen. „Unser Volk leidet unter Sanktionen. Wir sind angegriffen worden, jetzt wollen wir Vergeltung.“

Die Hamas-Führung, die in der jüngeren Vergangenheit einen Waffenstillstand angeboten hatte – vorausgesetzt, Israel werde die militärischen Angriffe im Gazastreifen und im Westjordanland komplett einstellen, nimmt die Gefahr einer groß angelegten Bodenoffensive in Kauf. „Ich wünschte, wir hätten moderne F-16-Kampfflieger, die die westlichen High-Tech-Nationen Israel zur Verfügung stellen“, schimpfte Jussef. „Wir werden (im Falle einer Invasion, Anm.) aber mit all dem kämpfen, was uns zur Verfügung steht.“ Vorerst setzte die Hamas ihre Raketenangriffe auf Israel fort. Bis gestern Nachmittag schossen Kämpfer der Hamas 15 Raketen ab.

„Schlimmer als Holocaust“

Auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der den Raketenbeschuss der Hamas grundsätzlich ablehnt, verurteilte die Angriffe der israelischen Armee scharf. „Was in Gaza passiert, ist schlimmer als ein Holocaust“, sagte Abbas. Er bezog sich damit auf den verbalen Ausrutscher des israelischen Vizeverteidigungsministers Matan Vilnai, der Ende vergangener Woche den Palästinensern mit einem „Holocaust“ gedroht hatte, sollte der Raketenbeschuss nicht aufhören.

Angesichts der höchsten Opferzahlen seit dem Sechstagekrieg von 1967 hat Abbas die erst im Jänner begonnenen Friedensgespräche mit Israel ausgesetzt. Der UNO-Sicherheitsrat forderte beide Konfliktparteien am Sonntag in New York auf, dem Blutvergießen ein Ende zu setzen. Die Europäische Union kritisierte das Vorgehen Israels im von der radikal-islamischen Hamas beherrschten Gaza-Streifen als unangemessen.

In einer Pressemitteilung des Außenministeriums in Jerusalem hieß es, dass die Entscheidung der Palästinenser, die Verhandlungen zu stoppen, „weder die Entscheidungen noch die Maßnahmen in Gaza oder anderswo beeinflussen, die nötig sind, um die eigenen Staatsbürger zu beschützen“.

Der über Lautsprecher verkündete Raketenalarm „Zewa adom“ („Farbe rot“), der für die Bevölkerung in Sderot seit Jahren zum Alltag gehört, ertönte in den vergangenen Tagen auch in der israelischen Hafenstadt Ashkelon, in der rund 115.000 Menschen leben. „Wir haben seit zwei Jahren mit Angriffen aus Gaza gerechnet und uns darauf vorbereitet“, meint Anat Weinstein-Berkowitsch von der Stadtverwaltung. „Jetzt rutschen wir von der Trockenübung in den Ernstfall.“ Achtmal war Ashkelon am Wochenende von Hamas-Raketen beschossen worden.

Kritik an den bisherigen Militäroperationen musste sich Israels Premier Olmert indes von Awi Dichter anhören, dem Minister für Öffentliche Sicherheit, der die Regierung zu einer schärferen Gangart aufforderte. Dichter stellte fest, dass die bisherigen Maßnahmen ihr Ziel verfehlt hätten und die Raketenbedrohung unverändert weiterbestünde: „Wir produzieren Geisterstädte im eigenen Land.“

LEXIKON

Gaza-Streifen. Seit dem Abzug der Israelis 2005 kam der Gaza-Streifen nicht mehr zur Ruhe. Im Juni 2007 übernahm die radikal-islamische Hamas nach blutigen Gefechten mit der Fatah von Palästinenserpräsident Abbas die alleinige Kontrolle. Israel riegelte den Streifen komplett ab und griff ihn aus der Luft an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2008)


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