Ivica Dačić: "Serbien kann keine Sanktionen verhängen"

Ivica Dačić, Serbien, Russland
Ivica Dačić, Serbien, Russland(c) APA/EPA/IVAN MILUTINOVIC (IVAN MILUTINOVIC)
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Serbiens neuer Außenminister Ivica Dačić erklärt, warum seine Regierung zwar für die territoriale Integrität der Ukraine eintritt, aber trotzdem Russland nicht wehtun will. Vergleiche mit dem Kosovo hört er gar nicht gern.

Wann kommen denn nun Obama und Putin nach Belgrad? Wie den Zeitungen zu entnehmen ist, haben Sie da ja große Pläne.

Ivica Dačić: Das haben die Medien so interpretiert. 2015 hat Serbien die OSZE-Präsidentschaft inne. Die Idee ist, zum 40. Jahrestag der Helsinki-Schlussakte eine feierliche Konferenz der Staats- und Regierungschefs abzuhalten. Ob das passiert oder nicht, hängt von den internationalen Beziehungen ab, und von der Bereitschaft aller Mitglieder. Die OSZE erstreckt sich ja von Vancouver bis Wladiwostok. Es braucht also auch die Zustimmung Russlands und der USA. Aber dann würden auch Obama und Putin nach Belgrad kommen, was eine große Ehre wäre.

Serbien scheint in Sachen Ukraine ja auf Seiten Russlands zu sein. Glauben Sie wirklich, dass das im Interesse des Landes ist?

Wir bemühen uns um eine ausgewogene Haltung. Premier Vučić und ich haben das auch Catherine Ashton dargelegt. Unser Standpunkt basiert auf zwei Prinzipien: Erstens achtet Serbien die territoriale Integrität jedes UN-Staates, auch der Ukraine. Zweitens kann Serbien doch nicht Sanktionen gegenüber Russland verhängen, wenn Russland niemals Sanktionen gegenüber Serbien verhängt hat! Eine solche Balance ist also in unserem nationalen Interesse.

Aber wenn Serbien – verständlich wegen des Kosovo – die territoriale Integrität hochhält, hätte es dann nicht auf Seiten der Ukraine sein müssen, als Russland deren Integrität verletzte?

Nun, wir haben am eigenen Leib erfahren, wie das Völkerrecht relativiert werden kann, was unsere territoriale Integrität und Souveränität betrifft. Wir hören es also gar nicht gerne, wenn in diesem Zusammenhang der Kosovo erwähnt und mit der Ukraine verglichen wird. Egal, ob nun die eine oder die andere Seite den Vergleich zieht.

Es war ja Putin, der diesen Vergleich gezogen hat. Bereitet Ihnen das nicht Kopfzerbrechen?

Und kurz nach Putin hat auch Obama den Kosovo erwähnt, und andere Politiker im Westen taten das auch, und zwar in dem Sinne, dass der Kosovo eine sehr spezielle Situation gewesen sei und das also nicht verglichen werden könne. Im Falle des Kosovo wurde das Völkerrecht verletzt, und alles, was danach kam, war die Konsequenz dieses Völkerrechtsbruchs. Deshalb sind wir gar nicht erbaut, wenn jemand im Zusammenhang mit der Ukraine den Kosovo erwähnt.

Stichwort Kosovo: Vor ziemlich genau einem Jahr wurde das Brüsseler Abkommen zur „Normalisierung“ der Beziehungen zwischen Belgrad und Prishtina unterzeichnet. Würden Sie das Verhältnis heute als „normal“ bezeichnen?

Ich glaube, dass wir weit von einer Normalisierung entfernt sind, aber dass wir in unseren Beziehungen doch vorangekommen sind. Das allerwichtigste war, den Frieden zu erhalten und die Rechte und die Sicherheit der dort lebenden Serben zu bewahren. Historisch war, dass wir sozusagen die Bremse gelöst haben mit diesem Abkommen, dass wir das nicht als eingefrorenen Konflikt belassen haben, sondern aktiv eine Lösung mitgestaltet haben. Es wäre auch sehr wichtig für die Kosovo-Serben, an der kommenden Parlamentswahl im Kosovo teilzunehmen. Dazu müssen aber noch einige offene Fragen geklärt werden: Etwa, ob es weiterhin reservierte Sitze der Serben und anderer Minderheiten geben wird. Das Parlament des Kosovo wollte die Zahl ja halbieren.

Heftig umstritten ist auch die geplante Schaffung einer eigenen Kosovo-Armee durch die Regierung in Pristhina. Es scheint aber, dass Serbien seinen Widerstand mittlerweile aufgegeben hat.

Eine Kosovo-Armee stünde allen UN-Beschlüssen entgegen, laut denen es auf dem Territorium des Kosovo nur internationale Streitkräfte geben kann. Wir haben deshalb eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates gefordert. Dass es dazu nicht kam, lag an der Krise in der Ukraine. Aber in der regulären Sitzung am 27. Mai wird das Thema auf dem Tisch liegen. Bei den Brüsseler Verhandlungen war es übrigens gar nicht offiziell auf der Agenda, Prishtina hat niemanden gefragt, weder die Vermittler in Brüssel, noch uns, aber wir wussten natürlich von den Plänen, und so haben wir Garantien gefordert, die dann auch Teil des Abkommens wurden: nämlich dass gewährleistet wird, dass jegliche Streitkräfte Gebiete mit serbischer Mehrheitsbevölkerung nicht ohne Erlaubnis betreten dürfen. Diese Garantie hat der Nato-Generalsekretär dann ja auch gegeben.

Also unter diesen Umständen ist eine Armee des Kosovo für Serbien akzeptabel?

Nein, akzeptabel ist die Bildung dieser Streitkräfte nicht. Die Situation erlaubt so etwas nicht, und es trägt auch nicht zur Stabilität in der Region bei. Als wir über das Thema diskutierten, ging es auch mehr um Hilfe bei Naturkatastrophen und solche Dinge.

Streitkräfte sind ja gewöhnlich ein Zeichen eines unabhängigen, souveränen Staates. Wenn der Kosovo eine Armee aufstellt, kann Belgrad dann noch seinen Standpunkt aufrechterhalten, Kosovo sei ein integraler Bestandteil Serbiens?

Noch einmal: Die Entscheidung des Kosovo, eigene Streitkräfte aufzubauen, widerspricht allen UN-Dokumenten zum Kosovo.

Zur serbischen Innenpolitik: Wie Premier Vucic angekündigt hat, wird es Sparmaßnahmen geben, auf die Serben kommen harte Zeiten zu. Wo ist da für einen sozialistischen Politiker die rote Linie?

Die Politik für die Premier Vucic eintritt, hat die Mehrheit der Wählerstimmen hinter sich. Ich habe seine Einladung angenommen, in die Regierung einzutreten und wir werden mithelfen, so gut wir können. Wir sind allerdings nicht in der Position, das zu tun, was wir für sozialistische Politik halten. Aber wir scheuen nicht davor zurück, Verantwortung zu übernehmen für das, was auf Regierungsebene getan werden muss. Die Bürde, um fiskalische und wirtschaftliche Stabilität zu erreichen soll aber nicht nur von den einfachen Bürgern geschultert werden, sondern von allen, in der Hoffnung, dass wir in den darauffolgenden Jahren auch den Lebensstandard heben können. Unser Land ist im Moment in einer schwierigen Lage. Wir müssen das bestmögliche Programm zur wirtschaftlichen Erholung finden, egal ob das jetzt zu den Parteiprogrammen passt oder nicht. Und ohne wirtschaftlichen Fortschritt wird es leider auch keine soziale Gerechtigkeit geben.

Während der Vereidigung der neuen Regierung gab es einen großen Aufmarsch von Parteigängern Premier Vucics vor dem Parlament. Der hätte laut der Zeitung „Danas" aber 48 Stunden vorher angekündigt werden müssen, was offenbar nicht geschah. Hat die größere Regierungspartei da gleich einmal das Gesetz gebrochen?

Über diesen speziellen Fall kann ich nichts sagen. Ich weiß nur, dass zu der Zeit, als ich Innenminister war, die Polizei auch unangekündigte Demonstrationen nicht mit Gewalt aufgelöst hat. Das wichtigste ist, dass es keine Zwischenfälle gab, dass alles friedlich abgelaufen ist.

ZUR PERSON

Ivica Dačić (48) ist seit gut einer Woche Serbiens Außenminister. Davor war er zwei Jahre lang Premier und gleichzeitig (seit 2008) Innenminister. Er ist Chef der Sozialistischen Partei und begann seine politische Karriere noch unter dem Autokraten Slobodan Milošević, dem er als Parteisprecher diente.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2014)

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