Griechenland: Wahlkämpfer verleugnen die Regierung

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Griechenland(c) REUTERS (YORGOS KARAHALIS)
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Die Spitzenkandidaten geben sich bei wichtigen Regionalwahlen in Griechenland "unabhängig"

Athen. Großeinsatz für Griechenlands politisches Personal: Diesen und nächsten Sonntag wählen sämtliche 325 Gemeinden und die 13 Regionen ihre Vertretung. Parallel dazu finden am zweiten Wahlsonntag, dem 25. Mai, auch die Europawahlen statt – ein wichtiger Test für die Stabilität der Koalitionsregierung von Konservativen und Sozialisten.

Verwirrend für die Stimmbürger bleibt die Orientierung über die politischen Zugehörigkeiten der Kandidaten. Zumindest in den großen Städten wollen sie fast alle „unabhängig“ sein, und ihre jeweiligen Wahlbündnisse vermeiden die Nennung von eingesessenen politischen Parteien wie der Teufel das Weihwasser. Der massive Vertrauensverlust der griechischen politischen Kaste durch die Schuldenkrise macht das unabdinglich.

Vor allem die vielen Bürgermeister und Regionalchefs, die über die sozialistische Pasok ans Ruder kamen, geben sich aufgrund des Zusammenbruchs ihrer Partei auf nationaler Ebene intensiv dem politischen Vatermord hin. Das geht so weit, dass unter anderen der Regionalchef der Region Attika, Giannis Sgouros, bei der Präsentation der Ergebnisse am Wahlabend sämtliche „Färbungen“ der Ergebnissäulen verbannen will. „Sein“ Bündnis soll nicht in den grünen Pasok-Farben sondern weiß dargestellt werden, forderte er. Attika mit dem Ballungszentrum Athen-Piräus ist heiß umstritten zwischen Sgouros und Rena Dourou.

Ex-Minister sorgt für Eklat

Die Spitzenkandidatin der Linkspartei Syriza fühlt sich von den Medien benachteiligt. Sie hat daher eine alte Unart der Parteien wiederbelebt: die Plakatierung sämtlicher möglicher und unmöglicher Freiflächen im städtischen Weichbild. Dass das eigentlich verboten ist, stört die Wahlwerber nur am Rande. Einen Skandal löste dann Ex-Außenminister Theodoros Pangalos aus: Er fühle sich von Dourous „Visage“ belästigt und schlug vor, sie sollte auch den Rest ihres Körpers, und zwar im Bikini, bloßlegen.

In der Hauptstadt Athen hat der amtierende Bürgermeister, Giorgos Kaminis, der 2010 als unabhängiger Kandidat von Mitte-Links die langjährige Vorherrschaft der Konservativen brach, gute Chancen auf eine Wiederwahl.

Grund ist vor allem die Zersplitterung der Konservativen, bei denen zwei Kandidaten antreten. Der „offizielle“ Parteikandidat, Aris Spiliotopoulos, versucht mit einer weiten Öffnung nach rechts, Punkte zu sammeln. So opponiert er nun gegen den Standort der ersten offiziellen Moschee Athens im Zentrum. Seine Hoffnung ist, dass er den zweiten Wahlgang erreicht und dann auch Stimmen anderer Rechtsparteien, wie etwa der neonazistischen „Goldenen Morgenröte“, erhält.

Neonazis in Umfragen stark

Die „Goldene Morgenröte“ ist in Athen mit ihrem Parteisprecher Ilias Kassidiaris vertreten. Er ist, gemeinsam mit anderen Führungskadern der Partei, der Bildung einer verbrecherischen Organisation angeklagt und wird sich in einigen Monaten vor Gericht verantworten müssen. Zur Wahl antreten darf er trotzdem. Seiner Partei wurden in den jüngsten Umfragen nicht weniger als zwölf Prozent zugeschrieben. Das tatsächliche Abschneiden der Rechtsradikalen ist eines der großen Fragezeichen der Wahlen.

Auch im Hafen von Piräus wird es bunt. Der konservative Bürgermeister von Piräus ist mit einem Kandidaten konfrontiert, der Stützung von einer Fußballmannschaft erhält: Giannis Moralis ist Vizepräsident des Sportvereins Olympiakos, und gleichsam rechte Hand des Reeders und Olympiakos-Chefs Vangelis Marinakis. Dass auch die sozialistische Pasok Moralis unterstützt, ist da nur noch zweitrangig.

Auch in Thessaloniki definiert sich Bürgermeister Giannis Boutaris als unabhängiger Kandidat. In seinem Fall aber mit einiger Berechtigung. Die Pasok-Unterstützung des erfolgreichen Weinproduzenten und Bilderstürmers rief 2010 im Parteiapparat starken Widerstand hervor. Boutaris liegt in Umfragen vor seinen Herausforderern aus dem konservativen und linken Lager. Der Syriza-Kandidat hat, wie seine Parteikollegen in Athen und Piräus, Probleme, sich Gehör zu verschaffen – es sind neue Gesichter, der „Wiedererkennungswert“ beim Wahlpublikum ist gering.

Griechenland hat vor vier Jahren die Zahl der Gemeinden von 1055 auf 325 reduziert. Man wollte damit vor allem die finanzielle Effizienz steigern, nahm aber wenig auf lokale Identitäten Rücksicht. So werden auch dieses Jahr die Bewohner mehrerer aufgelöster Gemeinden die Wahlen boykottieren.

Im nordgriechischen Aristotelis hat der Bürgermeister ganz andere Probleme: Da er eine Großinvestition in die Goldmine der Region stützt, muss er in den touristischen Küstenorten seines Wahlkreises um sein Leben fürchten. Im Rathaus war er seit Monaten nicht mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2014)

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