Firtasch: "Ukraine wird zum Schlachtfeld zwischen USA und Russland"

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ARCHIVBILD: OLIGARCH DIMITRY FIRTASCH(c) APA/EPA (EPA/INNA SIKOLOVSKAYA)
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Der Oligarch Dmitrij Firtasch bietet runde Tische in Wien zur Lösung der Ukraine-Krise an, hält die jetzige Regierung für korrupt und schildert seinen Bruch mit Ex-Präsident Viktor Janukowitsch.

Er zählt zu den reichsten und mächtigsten Männern der Ukraine. Doch die Krise und den Präsidentschaftswahlkampf in seiner Heimat kann der Oligarch nur aus der Ferne beobachten. Seit dem 12. März sitzt er in Wien fest. Polizisten der Cobra nahmen ihn auf einen US-Haftbefehl hin fest. Neun Tage später kam der 48-Jährige gegen eine Rekordkaution von 125 Millionen Euro frei. Seinen Reisepass musste er abgeben. Seither wartet Firtasch, bis die österreichische Justiz über den Auslieferungsantrag der Amerikaner entscheidet. Das kann noch dauern. Die Staatsanwaltschaft in Chicago wirft dem Ukrainer vor, 2006 indische Regierungsbeamte mit 18 Millionen Dollar bestochen zu haben, um Konzessionen für den Abbau von Titan im Bundesstaat Andhra Pradesh zu erhalten.

Den Grundstein für sein auf 2,4 Milliarden Euro geschätztes Vermögen legte Firtasch mit Gasgeschäften. Er kontrollierte als Zwischenhändler sämtliche russische Gasexporte in die Ukraine, bis ihn seine Erzfeindin, die ehemalige Premierministerin Julia Timoschenko, ausbootete. Einen Teil des Geldes holte er sich unter Präsident Janukowitsch zurück, den Firtasch, übrigens auch Eigentümer des ukrainischen TV-Senders Inter, vor dessen Sturz fallen ließ.

Umringt von Anwälten und Kommunikationsberatern empfing er die „Presse am Sonntag“ in der Schwindgasse im Wiener Büro seines Firmenimperiums zu einem Interview.

Herr Firtasch, haben Sie sich tatsächlich als Vermittler in der Ukraine-Krise angeboten?

Dmitrij Firtasch: Das stimmt absolut. Ich wäre sicher nicht fehl am Platz. Wir sind gut vernetzt in der Ukraine.

Sie können ja gar nicht in die Ukraine reisen.

Ich kann Wien momentan nicht verlassen. Deshalb habe ich mit meinem Team diskutiert, einige runde Tische hier in Wien abzuhalten.

Sie würden also die ukrainischen Streitparteien nach Wien einladen?

Wir denken darüber nach.

Derzeit will die Zentralregierung in Kiew nicht mit Separatisten aus der Ostukraine verhandeln. Ist das clever?

Wen definieren Sie als Separatisten? Ukrainische Politiker verteilen gern Labels. Das können sie am besten. Ja, es gibt gewisse Leute, die man als Separatisten bezeichnen könnte. Aber diese Gruppe ist sehr klein. Das Volk in Donezk und Lugansk will keinen Separatismus. Bitte glauben Sie mir: Ich spreche fast täglich mit Mitarbeitern in meinen Fabriken. Sie wollen die Ukraine nicht verlassen. Sie wollen keine Volksrepubliken Donezk und Lugansk. Alles, was sie wollen, sind Ruhe, Frieden und Arbeit. Es ist ein rein politisches Spiel.

Die Unabhängigkeitsreferenden in Donezk und Lugansk beeindrucken Sie nicht?

Wir sind an einem Punkt, an dem wir analysieren müssen, was gut und schlecht läuft in unserem Land: Wir brauchen eine legitime Regierung, müssen den Regionen mehr Rechte geben und den Status unseres Landes klären. Diese drei Schwachpunkte können zu Stärken werden. Die Ukraine muss unabhängig und neutral werden. Unsere Politiker wollen immer irgendwohin geführt werden.

Was meinen Sie damit?

Manche denken, wenn sich die Ukraine der EU anschließt, wird Europa alle Probleme für die Ukraine lösen. Andere wollen der Zollunion betreten, damit Russland alles für uns erledigt. Deshalb ist die Ukraine in einem ewigen Spagat. Wir brauchen aber gute Beziehungen zu Europa und zu Russland.

Sie sagen also: keine Zollunion, kein Assoziierungsabkommen, kein Nato-Beitritt.

Ich schlage für die Ukraine einen ähnlichen Status wie jenen der Schweiz vor. Davon profitieren alle, Russland, Europa, vor allem aber die Ukraine.

Sollten die Organisatoren des Referendums am runden Tisch sitzen?

Zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Ich will nicht sagen, dass sie keinen Einfluss haben. Aber ich glaube, dass ihr Einfluss überschätzt wird. Sie spielen mit den Gefühlen der Leute. Wir müssen wie Ärzte handeln. Wir müssen die richtige Diagnose stellen.

Worunter leidet die Ostukraine?

Der Sitz der Krankheit ist in Kiew. Als Janukowitsch 2004 bei der Präsidentschaftswahl antrat, brauchte er eine Wahlbasis. Also trieb er mit einem Hammer einen Keil in das Land. Danach nützten Politiker dieses Spiel sehr erfolgreich. Und auch die jetzigen Präsidentschaftswahlen laufen nach diesem Szenario ab. Wir müssen das stoppen. Das Land ist gespalten: in den Südosten, den Osten, den Westen. Als Präsident des Arbeitgeberverbandes habe ich zwischen 2011 und 2013 das ganze Land besucht. Es war schon damals klar, dass die Krise jeden Tag schlimmer wird. Warum? Die Leute lehnen die Zentralisierung ab. Nur 15Prozent des Geldes bleiben in den Regionen, der Rest wandert nach Kiew. Wir müssen den Regionen mehr Autonomie und Macht geben.

Jeder sagt heute, dass die Regionen mehr Autonomie brauchen. Aber welche Macht-ressourcen sollen beim Zentrum bleiben?

Wir brauchen ein föderales System wie in Österreich, Deutschland oder den USA. Die Regionen sollen eine Reihe von Vorrechten erhalten, ihre eigenen Gouverneure und Regierungen wählen. Die Außenpolitik sollte die Domäne der Zentralregierung bleiben. Die Ukraine muss bestehen bleiben, sie soll künftig jedoch anders funktionieren. Zweitens brauchen wir ein parlamentarisches System. Wir können nicht halbschwanger sein: halb parlamentarisch, halb präsidial. Wenn wir diese Frage lösen, eliminieren wir viele Probleme.

Wie bewerten Sie die Leistung der jetzigen Übergangsregierung?

Als sehr schlecht. Die Regierung hat die Situation überhaupt nicht im Griff, überhaupt keine Kontrolle mehr über die Gebiete im Osten. Die Armee sieht sehr blöd aus. Das Schlimmste: Gegen wen kämpfen wir? Gegen unsere eigenen Leute! Wir müssen den Menschen einen Ausweg anbieten. Die Regierung präsentiert keine Vorschläge zur Lösung der Krise. Sie hat Slogans verbreitet, die Welt dabei als Geisel genommen, aber die Krim verloren.

Was hätte die Regierung tun sollen auf der Krim? Hätte sie in den Krieg ziehen sollen?

Die Regierung tat nichts, um die Krim zu behalten. Ich bin überzeugt: Die Leute auf der Krim stimmten nicht für Russland, sie stimmten für Stabilität. Sie lehnten das Chaos in Kiew ab.

Glauben Sie, dass die Krim für die Ukraine verloren ist?

Für nichts wird Putin die Krim nicht mehr zurückgeben. Damit müssen wir leben. Ich habe meinen eigenen harten, aber realistischen Plan. Wenn ich die Verantwortung trüge, hätte ich wahrscheinlich eine Lösung für diese Angelegenheit gefunden.

Wie?

Ich würde dieses Problem wirtschaftlich lösen. Mehr kann ich dazu jetzt nicht sagen.

Wer hat das Chaos in der Ostukraine verursacht, wer hat die Separatisten finanziert?

Unsere Hauptprobleme gehen auf die USA und Russland zurück. Sie spielen Geopolitik, die Ukraine ist im Kreuzfeuer. Das Land ist zu einem Schlachtfeld der Supermächte geworden.

Was will Putin in der Ostukraine?

Was haben die USA die ganze Zeit getan? Sie expandierten, kamen immer näher an die Grenze Russlands. Und als sie sich entschlossen, in die Ukraine zu kommen und Basen am Schwarzen Meer zu errichten, wollte Putin das nicht erlauben. Wären die Amerikaner glücklich, würde Putin Raketen in Mexiko oder Kanada aufstellen?

Es sind keine US-Raketen in der Ukraine aufgestellt worden.

Putin versuchte, der Gegenseite zuvorzukommen. Putin wusste: Wenn er nicht den ersten Zug macht, dann passiert all das, was jetzt in der Ukraine geschieht, in Russland.

Glauben Sie, dass er zu Recht so dachte?

Als Ukrainer bin ich gegen seine Vorgangsweise. Putin beging einen großen Fehler. Er machte einen Schritt, bei dem es kein Zurück gibt. Kennen Sie das? Wenn man etwas isst, und es bleibt im Hals stecken, und man kann es weder schlucken noch ausspucken. Die Krim steckt jetzt im Hals Putins.

Vielleicht will er noch mehr schlucken, um die Krim verdauen zu können.

Keiner redet heute noch über die Krim. Sie fragen mich nach Donezk und Lugansk. Putin hat Ihre Aufmerksamkeit abgelenkt, den Krieg weiter ins ukrainische Territorium verlagert.

Könnte er auch die Ostukraine annektieren?

Darüber will ich nicht einmal nachdenken. Aber ich glaube, dass er versuchen wird, die Situation weiterhin ins Schwanken zu bringen. Denn wenn alles ruhig ist, werden sich die Leute an die Krim erinnern.

Wie wichtig ist der ostukrainische Oligarch Rinat Achmetow in diesem Spiel?

Er ist unbestritten ein großer Führer in Donezk. Er hat Einfluss in der Region, ist dort einer der größten Arbeitgeber, besitzt einen Fußballklub. Er ist zweifellos einer der Hauptakteure in der Region.

Ziehen Sie an einem Strang mit ihm in der jetzigen Situation?

Ich bin nicht so sicher, welche Richtung er derzeit einschlägt. Aber er wird definitiv nicht mögen, was derzeit in seiner Region vorgeht. Ich bin sicher, dass er für die Einheit der Ukraine ist und sich nicht von der Ukraine abspalten will. Aber es ist offensichtlich, dass er die Angelegenheit nicht selbst lösen kann. Und das bestätigt meine These, dass das Problem nicht in Donezk liegt. Donezk ist das Schlachtfeld. Das Problem liegt anderswo.

Glauben Sie, dass die Präsidentenwahl wie geplant am 25. Mai stattfinden kann?

Das hoffe ich sehr. Ich wünsche es mir von ganzem Herzen. Wir müssen unsere Führung legitimieren und Russland die Möglichkeit nehmen zu behaupten, der wahre Präsident der Ukraine sei derzeit in Rostow am Don.

Halten Sie denn Janukowitsch für den legitimen Präsidenten?

Nein, aber ich sehe, wie er jedes Monat in Rostow Pressekonferenzen gibt, und wie Putin das für seine Zwecke nützt. Die Absetzung Janukowitschs war nicht ganz sauber. Wir können natürlich so tun, als ob es das Problem nicht gäbe. Aber jeder weiß, dass es existiert.

Wann haben Sie sich von Janukowitsch abgewandt?

Ich kann nicht leugnen, dass ich ihn bei den Wahlen 2010 unterstützte.

Aber Sie haben sich getäuscht in ihm?

Ja, im Jahr 2011 haben wir begonnen, das zu verstehen. 2010, als er Präsident wurde, hatten das Parlament und die Regierung mehr Macht. Janukowitsch behauptete, sie stünden Reformen im Weg und drängte sie zurück. Er agierte zunächst sehr vorsichtig. Sobald er jedoch mehr Macht angehäuft hatte, zeigte er sein wahres Gesicht. Es gäbe jetzt nur noch einen am Steuer, sagte er, alle anderen säßen ab jetzt als Passagiere auf dem Rücksitz. Sein Ziel war es, uns alle loszuwerden, jeden, der ihm im Weg stand. Er hatte nur nicht ausreichend Zeit, das zu tun.

Er wollte also Ihre Geschäfte stören?

Er hatte nicht genug Zeit, meine Geschäfte zu zerstören. Aber er übte enormen Druck über seine Steuerbehörden aus. Er veränderte das System. Und in dieses System passten wir nicht hinein.

Waren Sie zu Beginn des Jahres noch in Kontakt mit Janukowitsch?

Im Februar 2014, bevor er anfing zu schießen, hatten wir noch einmal Kontakt. Als das Parlament dafür stimmte, die Macht des Präsidenten zu beschneiden. Ich war damals in Paris. Er rief mich an und schrie, dass Abgeordnete im Parlament für eine Rückkehr zum parlamentarischen System stimmten.

Was haben Sie zu ihm gesagt?

Ich sagte ihm, dass er zu weit gegangen sei und ich ihm nicht helfen könne.

Es heißt, dass Sie 20 Abgeordnete direkt kontrollieren.

Sie müssen erklären, was Sie unter „kontrollieren“ verstehen.

Dass die Abgeordneten so abstimmen, wie Sie das wollen.

So funktioniert das nicht. Wir haben Beziehungen zu Abgeordneten. In den Regionen, die sie repräsentieren, sind wir große Arbeitgeber. Es leben ganze Städte von unseren Fabriken. Wahlkandidaten streben unsere Unterstützung an. Es ist eine Kooperation, es geht nicht um Kontrolle. Denn diese Abgeordneten versuchen, für unsere Regionen und Städte zu kämpfen.

Sie haben die Oppositionsführer Poroschenko und Klitschko hier in Wien getroffen. Unterstützen Sie Poroschenko bei der Präsidentenwahl?

Ich will darüber nicht reden, solange der Wahlkampf läuft. Denn meine Aussagen könnten das Präsidentenrennen sehr beeinflussen.

Sie sagten in einem „Financial Times“-Interview, dass Julia Timoschenko die US-Behörden manipuliert habe, Sie zu verfolgen. Überschätzen Sie da nicht ihre Macht?

Die Amerikaner wurden sehr sorgfältig desinformiert, das war Qualitätsarbeit. Die Angelegenheit geht ins Jahr 2006 zurück. Es hat alles mit den Wahlen am 25.Mai zu tun. Das Hauptziel war es, sicherzustellen, dass ich außerhalb der Ukraine bin. Vor einem Monat, da bin ich mir sicher, haben die Amerikaner noch große Summen auf Timoschenko gewettet. Heute nicht mehr. Die Umfragen zeigen, dass ein Sieg Timoschenkos bei der Präsidentenwahl nicht realistisch ist.

Sie glauben also, die Amerikaner wollten Sie aus dem Präsidentschaftsrennen nehmen. Warum hätten die österreichischen Behörden mitspielen sollen?

Die Österreicher haben kein Problem mit mir, sie folgen bloß dem Antrag der Amerikaner. Ich glaube, dass das österreichische Justizsystem unabhängig von der Politik arbeitet, sich die Angelegenheit anschaut und eine angemessene Entscheidung trifft.

Warum stellen Sie sich nicht der Justiz in den USA und klären dort alles auf?

Was hält mich davon ab, dasselbe hier zu tun? Wenn Sie seit 2006 an einem Fall gegen mich arbeiten, hätten Sie mich doch zumindest angerufen oder mir Fragen zugeschickt.

Die US-Behörden waren nicht in Kontakt mit Ihnen?

Sie kontaktieren mich bis heute nicht. Ich erhielt den Haftbefehl, sonst nichts.

Eines der Hauptprobleme der Ukraine ist offenbar die Korruption. Dagegen richteten sich auch die Maidan-Proteste. Wie korrupt ist das System in der Ukraine?

Nichts hat sich geändert. Alles ist noch schlimmer geworden. Die Leute, die jetzt an der Macht sind, wissen, dass ihre Zeit bald abläuft. Und deshalb sind sie noch schlimmer.

Wie kann man diesen Systemfehler beheben?

Der Fisch fängt am Kopf zu stinken an. Ich sammle jetzt auch interessante Erfahrungen in meinem Rechtsfall. Wie funktioniert eine Karriere im US-Rechtssystem? Erst macht man sich einen Namen als Staatsanwalt, erst dann wird man Anwalt und beginnt, Geld zu verdienen. Bei uns ist es umgekehrt. In der Ukraine verdient man Geld, sobald man Staatsanwalt wird.

Und wie sind Sie zu Ihrem Reichtum gekommen?

Das ist kein Geheimnis. Ich kann jeden Dollar nachweisen, den ich verdient habe. In den 1990er-Jahren betrat ich die Geschäftsarena. Ich habe alles ausprobiert, verkaufte Nahrungsmittel, ging dann nach Zentralasien. Dort begann ich, Gas zu verkaufen. Und so baute ich mein Unternehmen auf.

Warum haben Sie Ihren Unternehmenssitz in Österreich? Was ist der Vorteil für Sie?

Ich mag Wien, die Stadt, die Leute hier. Die Verkehrsanbindung zwischen Europa und Asien ist exzellent. Und wir hatten historisch gute Beziehungen zur Raiffeisenbank.

Steckbrief

2. Mai 1965
Dmitrij Firtasch wird in Synkiw im Oblast Ternopil geboren. Ausbildung am Eisenbahntechnikum in Dnjepropetrowsk. Seit 2000 im Erdgasgeschäft. Seine Rivalin Timoschenko wirft ihm vor, Strohmann für den russischen Mafiaboss Mogilewitsch zu sein. Firtasch bestreitet dies heftig.

2005 erlangte er mit RosukrEnergo als Zwischenhändler eine Monopolstellung für russische Gaslieferungen in die Ukraine. Sein DF-Konzern ist mittlerweile auch im Chemie- und Bankengeschäft tätig. Zudem besitzt Firtasch auch den TV-Sender Inter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2014)

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